Aus der 2. Bundesliga an die Weltspitze: Die Story des Jürgen Klopp
Als Spieler und als Trainer eine Legende in der 2. Bundesliga? Jürgen Klopp kann das definitiv von sich behaupten - der Zweitliga-Rekordspieler des 1. FSV Mainz 05, der den Verein dann als Trainer erstmals in die Bundesliga führte, kann auf eine bewegte Geschichte im Fußball-Unterhaus zurückblicken.
"I am the normal one" – mit diesen Worten stellte sich Jürgen Klopp im Oktober 2015 beim FC Liverpool vor. Dank seiner offenen und humorvollen Art flogen ihm in England die Sympathien ebenso schnell zu wie bei seinen vorherigen Stationen bei Borussia Dortmund und dem 1. FSV Mainz 05 – sonst ist ihm allerdings kaum etwas in seiner Karriere zugeflogen. "Ich war ein durchschnittlicher Spieler, und in Mainz habe ich als durchschnittlicher Trainer angefangen", sagt Klopp selbst über sich. Aber genau in diesem Werdegang steckt vermutlich das Geheimnis des Mannes, der aus der 2. Bundesliga auszog, um die wichtigsten Titel im europäischen Clubfußball zu gewinnen.
Irgendwie ist es typisch für die Vita Klopp, dass sich die Tür in den Profifußball nach einer Niederlage öffnete. 1990 scheiterte der gebürtige Stuttgarter mit Rot-Weiss Frankfurt in der Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga unter anderem am 1. FSV Mainz 05. Die Rheinhessen fanden aber Gefallen am damals 22-jährigen Angreifer, der zwar wenig filigran, dafür aber mit einer unglaublichen Power agierte. Die "Nullfünfer" verpflichteten den Blondschopf, dem so persönlich gelang, was ihm mit seinem Team verwehrt blieb: der Aufstieg in die 2. Bundesliga.
Und dort fand sich Klopp direkt gut zurecht. In seiner Debütsaison in Mainz war er auf Anhieb Stammspieler und absolvierte 33 von 38 möglichen Partien (damals spielten noch 20 Clubs in der 2. Bundesliga). Die Spielzeit 1990/91 war auch die einzige seiner elf Profijahre in Mainz, in der der 1,91 Meter große Rechtsfuß zweistellig knipste. Mit zehn Treffern hatte er großen Anteil am sehr respektablen achten Platz des Aufsteigers.
In der Folge ging es für die "Nullfünfer" vornehmlich um den Klassenerhalt – und Klopps Rolle wurde immer defensiver. Aus dem Sturm rückte er zunächst ins Mittelfeld, bevor er als dynamischer Rechtsverteidiger seine stärkste Position fand. Dort ließen sich auch seine technischen Unzulänglichkeiten besser kaschieren, aus denen der gebürtige Stuttgarter nie einen Hehl machte. "Wenn ich niesen musste, wünschten mir meine Mitspieler immer 'Technik' und nicht 'Gesundheit'", scherzte Klopp einmal über seine Zeit als Aktiver.
Dennoch hätte es der im Schwarzwald aufgewachsene Profi um ein Haar auch als Spieler in die Bundesliga geschafft, denn 1996/97 waren die 05er nur einen Sieg am letzten Spieltag beim VfL Wolfsburg von der Erstklassigkeit entfernt. Und das, obwohl die Rheinhessen zwei Jahre zuvor erst am letzten Spieltag dem Abstieg gerade so noch entronnen waren – nur aufgrund der besseren Tordifferenz gegenüber dem 1. FC Nürnberg. Das "Endspiel" bei den "Wölfen" ging nach 1:0-Führung und dramatischem Spielverlauf mit 4:5 verloren. Da half auch das zwischenzeitliche 2:3 durch Jürgen Klopp nicht, obwohl er nach einem mustergültigen Kopfball zu einem seiner bekannten Jubelläufe startete, um Fans und Mitspieler mitzureißen.
In den folgenden Jahren hielten sich die 05er immer im gesicherten Mittelfeld der Tabelle auf – mit Klopp als wichtigem Baustein. Erst 2000/01, seiner letzten Profisaison als Spieler, wurden die Einsätze sporadischer. Am 23. Spieltag stand Mainz nach einer Niederlage in Fürth auf einem Abstiegsplatz und hatte seit sieben Partien nicht mehr gewonnen. Diese Partie im Playmobilstadion ist im Nachhinein einer der großen Wendepunkte der FSV-Geschichte. Es war der letzte Profieinsatz von Jürgen Klopp – auch wenn dies niemandem klar war, als Markus Schuler in der 69. Minute für den mittlerweile 33-Jährigen eingewechselt wurde. "Immerhin habe ich es auf 325 Zweitliga-Spiele gebracht, ohne einen einzigen Trick zu beherrschen", fasst Klopp seine Karriere süffisant und nicht ohne Stolz zusammen. Bis heute ist er damit der Mainzer Zweitliga-Rekordspieler.
Wobei Klopp für seine abruptes Karriereende selbst verantwortlich war, denn nur drei Tage nach der Niederlage in Franken begann seine Laufbahn als Trainer – und das ausgerechnet am Aschermittwoch. Als er Faschingsdienstag im Mainzer Pressesaal als Nachfolger des beurlaubten Eckard Krautzun vorgestellt wurde, hielten dies viele für einen Scherz. Christian Heidel, als Manager damals verantwortlich, erinnert sich an den Kommentar des Vertreters der Mainzer Rheinzeitung, der entgeistert fragte: "Was macht denn der Klopp hier?"
Die Antwort lieferten Klopps Spieler sofort auf dem Platz. Sechs seiner ersten sieben Spiele als Chefcoach gewannen die 05er (neben einem Remis) und legten mit dieser Serie den Grundstein für den Klassenerhalt. Dem späteren Welttrainer kam in seiner Anfangszeit enorm zugute, dass er neben seiner Karriere bereits Sportwissenschaft studiert und die Trainer-A-Lizenz erworben hatte. Inspiriert hatte ihn vor allem sein ehemaliger Trainer Wolfgang Frank, über den Klopp sagt: “Er hat uns die Laufwege eingehämmert. Für mich war das eine Offenbarung.“ Frank schaffte es, seinen Spielern den Glauben zu vermitteln, auch schier übermächtige Gegner zu bezwingen. "Wir konnten mit unserem System Spiele gewinnen gegen Mannschaften, die besser waren als wir", erinnert sich Klopp. Eine Fähigkeit, die auch seine Teams stets auszeichnete.
Für Klopp selbst war die Umstellung vom Spieler zum Trainer gar nicht so groß, wie man vermuten könnte. "In vielen Bereichen war ich schon der Chef davor, ohne es sein zu wollen. Ich war einer der ältesten Spieler in der Mannschaft. Wenn die Jungs nicht genug gelaufen sind, habe ich es ihnen schon gesagt, als ich selber noch das Trikot anhatte", schildert "Kloppo" den Übergang. Zwei Sachen waren für ihn dann aber schon gewöhnungsbedürftig: "Das Komischste war, dass ich aus der Kabine ausziehen musste und dass ich nicht mehr mit Jürgen Kramny im Doppelzimmer lag."
Die Philosophie des leider bereits 2013 mit 62 Jahren verstorbenen Frank im Hinterkopf schweißte er mit seinen Fähigkeiten als Menschenfänger schon in seiner ersten kompletten Spielzeit als Cheftrainer eine schlagkräftige Truppe zusammen. Lange schien der erste Aufstieg in die Bundesliga zum Greifen nah. Zehn Punkte betrug zwischenzeitlich der Vorsprung auf Rang 4, 30 Spieltage standen die "Nullfünfer" während der Saison 2001/02 auf einem Aufstiegsplatz, nur um am 34. Spieltag noch vom zweiten auf den undankbaren vierten Rang abzurutschen. Ein Remis beim 1. FC Union Berlin hätte genügt und nach 82 Minuten stand es auch noch 1:1, aber zwei späte Tore der "Eisernen" sorgten für bittere Mainzer Tränen.
Doch auch nach diesem Rückschlag standen die "Nullfünfer" unter Klopp sofort wieder auf. 2002/03 spielten die Rheinhessen ganz oben mit und gingen punktgleich mit der drittplatzierten Eintracht aus Frankfurt in den 34. Spieltag. Es folgte ein Saisonfinale für die Ewigkeit: Zehn Minuten vor Schluss führte Mainz durch einen Viererpack von Benjamin Auer 4:0 in Braunschweig und bei Frankfurt gegen Reutlingen stand es 3:3. Mainz fing sich das 4:1, die Eintracht ging 4:3 in Führung, brauchte aber immer noch zwei Tore. Während die Mainzer um Klopp die Nachspielzeit der Partie in Frankfurt im Radio hörten, schossen Diakité und Schur die SGE mit zwei Treffern in der Nachspielzeit in die Bundesliga - und wieder vergossen die "Nullfünfer" Tränen der Enttäuschung.
Erlebnisse wie die beiden denkbar knapp verpassten Aufstiege können eine Mannschaft brechen. Aber Klopp gelang es, sein Team auch für seine dritte Saison wieder aufzurichten. Neben seiner ausgeklügelten Pressing- und Gegenpressing-Taktik ist es vermutlich die menschliche Komponente, die Klopps größtes Erfolgsrezept ist. "Jürgen gibt sich nach außen, so wie er ist. Er ist anderen Trainern haushoch überlegen, weil sie die gesamte Zeit überlegen, was sie sagen müssen, damit sie so oder so rüberkommen", sagte Heidel vor einigen Jahren im Podcast der Mainzer.
Mit dem authentischen Klopp ging Mainz 05 auch 2003/04 wieder als Verfolger ins Saisonfinale. Einen Punkt betrug der Rückstand auf Alemannia Aachen, die mit einem 0:1 in Karlsruhe die Tür für den Triumph der "Nullfünfer" öffnete. Diese Chance ließ sich das Mainzer Team nicht nehmen und bezwang Trier mit 3:0. Nach 14 Jahren 2. Bundesliga hatte sich Klopp bis in die Beletage des deutschen Fußballs durchgebissen. Den endgültigen Abschied aus der 2. Bundesliga bedeutete der Aufstieg aber nicht, denn nachdem Mainz zwei Mal den Klassenerhalt sicherte, stand am Ende des dritten Bundesliga-Jahres der Abstieg.
Dass die Rheinhessen den Gang in die 2. Bundesliga mit ihrem Trainer Jürgen Klopp antraten, spricht für das enorme Standing, das der Fußballtrainer sich in der Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz erarbeitet hat. "In Mainz könnte ich einen Haufen auf die Ludwigsstraße machen und alle würden sagen: 'Super, Kloppo!'", beschreibt Klopp seine Beliebtheit in der Stadt gewohnt blumig. Die "Nullfünfer" vertrauten Klopp die Mission Wiederaufstieg an, die wieder einmal knapp scheiterte. Aber wie schon zu Beginn seiner Spielerkarriere machte Klopp persönlich nun den Sprung, der ihm mit der Mannschaft nicht gelungen war: Im Sommer 2008 wechselte er zu Borussia Dortmund. Natürlich hätte sich die Mainzer Legende lieber mit dem Aufstieg verabschiedet, aber wie sagte Klopp später in Liverpool einmal so schön: "It’s not a wish concert."
Obwohl seine weitere Trainerkarriere in Dortmund und Liverpool sowohl bei ihm als auch den Fans kaum Wünsche offen ließ. Er formte in Dortmund aus einer grauen Maus einen zweifachen Deutschen Meister und führte Liverpool zur ersten Meisterschaft im Premier-League-Zeitalter. Er gewann die Champions League, holte auch den englischen Pokal und wurde zwei Mal zum Welttrainer gewählt. Seine Ankündigung, sein Amt beim FC Liverpool im Sommer 2024 niederzulegen, sorgte für beispiellose Sympathiebekundungen auf der ganzen Welt.
Es zeigt, wie nahbar Jürgen Klopp trotz all seiner Erfolge geblieben ist. Selbst mit einer Vitrine voller Pokale könnte er sich auch heute bei einer Pressekonferenz mit "I am the normal one" vorstellen – und es wäre nicht gelogen.
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