Tabellenführer Borussia Dortmund: Wo Lucien Favre besser ist als Jürgen Klopp und Thomas Tuchel
Köln – Borussia Dortmund ist nach 13 Spieltagen souverän Tabellenführer und noch immer ungeschlagen. Mit sieben Punkten Vorsprung ist der BVB auf bestem Wege zur Herbstmeisterschaft. Ein großer Verdienst von Trainer Lucien Favre. bundesliga.de analysiert, an welchen Stellschrauben der Schweizer gedreht hat und warum er in vielerlei Hinsicht erfolgreicher ist als seine prominenten Vorgänger.
Während sich die Fans der Schwarz-Gelben dieser Tage vor allem an den Offensivakteuren wie Paco Alcacer, Jadon Sancho oder Marco Reus ergötzen, steht der Vater des Erfolgs doch meist etwas im Hintergrund: Trainer Lucien Favre ist kein Mann der großen Gesten und Worte, nur selten sieht man den 61-Jährigen aus der Haut fahren. Doch wenn die Sprache auf den derzeitigen Übungsleiter des BVB kommt, hört man meist nur ein Wort: akribisch.
Gemeint ist dabei nicht nur das tagelange studieren von Videomaterial des Gegners, sondern vor allem die stetige Weiterentwicklung seiner Spieler in jedem kleinsten Detail. "Er zeigt Dir, wie du verteidigen sollst, wo du richtig stehst, welchen Fuß des Mitspielers du anspielen musst", sagte Kapitän Marco Reus in der Saisonvorbereitung im Sommer und fügte schlicht hinzu: "Er ist der beste Trainer, den ich je hatte!"
Reus steht in 59 Spielen unter Favre 57 Mal in der Startelf
Gerade Reus ist das beste Beispiel dafür, wie sich ein Spieler unter Favre entwickeln kann, galt der heutige BVB-Kapitän in der Jugend noch nicht zwingend als kommender Weltstar, ehe er sich bei Borussia Mönchengladbach zu einem der besten deutschen Fußballer entwickelte und schließlich noch unter Favre zum Fußballer des Jahres gekürt wurde. Interessant: Unter Favre hat Reus in insgesamt 59 Bundesliga-Spielen 57 Mal in der Startelf gestanden, zwei Mal musste er verletzt passen. Soll also heißen: Reus spielt immer. Das Vertrauen dankt der Nationalspieler, derzeit wohl in der Form seines Lebens, mit absolut herausragenden Leistungen zurück. Mit neun Toren und fünf Torvorlagen ist er hinter Frankfurts Sebastien Haller der Top-Scorer der Bundesliga.
Reus ist dabei als Zehner hinter den Spitzen das zentrale Element in der Dortmunder Offensive: Unter Favre hat der BVB in den ersten 13 Bundesliga-Partien 37 Treffer erzielt. Das schaffte weder Thomas Tuchel, als er 2015/16 zum BVB kam, noch Jürgen Klopp in der legendären Meistersaison 2010/11, dem Auftakt einer zweijährigen BVB-Dominanz in der Liga.
Im Gegensatz zu seinen prominenten Vorgängern auf der Trainerbank hat Favre aber vor allem zwei Dinge verbessert: Zum einen agieren die Dortmunder extrem abgezockt vor dem gegnerischen Tor und zum anderen ist es derzeit nahezu unmöglich, den BVB zu schlagen. 13 Spiele ohne Niederlage in der Bundesliga gab es für einen neuen Trainer noch nie. Vorgänger Peter Stöger hat es in der vergangenen Saison zwar immerhin auf zwölf ungeschlagene Spiele gebracht, diese verteilten sich jedoch auf sieben Siege und fünf Remis.
Defensive stabiler, Offensive effektiver
Eine entscheidende Verbesserung findet sich in der über viele Jahre so anfälligen Defensive, die nun zu einer der besten der Bundesliga geworden ist. Allein RB Leipzig hat bis dato weniger Gegentreffer kassiert. So hat Favre mit seinem Landsmann Manuel Akanji einen hervorragenden Abwehrchef gefunden. Gemeinsam mit den hoch veranlagten Franzosen Abdou Diallo und Dan-Axel Zagadou, deren Sprache er spricht, eine neue verjüngte Defensive aufgebaut, die vom Strategen Axel Witsel als Bindeglied zwischen Defensive und Offensive perfekt ergänzt wird.
Im Spiel nach vorne setzt Favre vor allem auf Qualität statt auf Quantität: So schießt der BVB aktuell seltener auf das gegnerische Tor (bisher 167 Mal) als noch unter Tuchel (211 Mal nach 13 Spieltagen) oder Klopp (224 Mal). Dafür brauchen die Angreifer aber deutlich weniger Torschüsse für einen Treffer: Sieben waren es unter Klopp, sechs unter Tuchel und nur noch fünf unter Favre.
Was den Ballbesitz anbetrifft, reiht sich Favre irgendwo zwischen dem kloppschen Gegenpressing (50 Prozent Spielanteile) und dem tuchelschen Ballbesitzfußball (60 Prozent) ein. Mit 56 Prozent liegt er hier im Mittel. Die Qualität der Pässe hat hingegen zugenommen. So kommen starke 87 Prozent der Zuspiele beim Mitspieler an. Weit mehr als noch unter Tuchel (84) und Klopp (77).
Und schließlich kommt dann ja auch noch das goldene Händchen des Schweizers hinzu. Noch nie war der Anteil der Jokertore in einer Dortmunder Mannschaft so hoch. 13 der 37 Treffer erzielten Spieler, die von der Bank kamen. War es zu Beginn der Saison noch Jadon Sancho, der, wenn der Gegner langsam müde wurde, sich mit seinen genialen Aktionen zum Top-Vorbereiter der Liga mauserte, so ist es inzwischen Paco Alcacer, der derzeit zumeist nach etwa einer Stunde, wenn Mario Götze die gegnerischen Innenverteidiger müde gelaufen hat, ins Spiel kommt und sein fast schon obligatorisches Tor erzielt.
Der BVB jedenfalls präsentiert sich unter Lucien Favre so stark wie seit vielen Jahren nicht mehr. Der Herbstmeister-Titel ist bei sieben Punkten Abstand zum greifen nah, ob Favre die Borussia auch bis zum Ende der Saison ganz oben halten kann, ist indes eine andere Frage. Derzeit würde es gewiss niemanden wundern, wenn wir 2018/19 den ersten Schweizer Meistertrainer in der Bundesliga sehen würden.
Karol Herrmann
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