EM-Gruppe F im Check: Favorit mit Fragezeichen
Auf dem Papier ist die Gruppe F eine klare Angelegenheit: Portugal sollte sich gegen Georgien, Tschechien und die Türkei eigentlich durchsetzen. Aber trotz der makellosen Bilanz von zehn Siegen in zehn Qualispielen bleibt eine Unsicherheit: Wie gut ist der 39-jährige Ronaldo noch. Die EM wird die Antwort liefern.
Alle EM-Gruppen im Check:
Gruppe A: Das nächste Sommermärchen?
Gruppe B: Hammergruppe verspricht Spektakel
Gruppe C: "No more years of hurt"?
Gruppe D: Équipe Tricolore vor Stresstest
Gruppe E: "Last Dance" für De Bruyne und Lukaku?
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Georgien
Als Nika Kvekveskiri gegen Griechenland in den Play-offs zur EM-Endrunde den entscheidenden Elfmeter versenkte, gab es in der georgischen Hauptstadt Tiflis kein Halten mehr. Die erste Qualifikation für ein großes Turnier ist eine kleine Sensation. In der Qualigruppe wurden die Georgier hinter Spanien, Schottland und Norwegen zwar nur Vierter, aber über den Gruppensieg in der Nations League Liga C sicherte sich die Nation aus dem Südkaukasus die Teilnahme an den Play-offs.
Der Topstar: Khvicha Kvaratskhelia
Der Spitzname "Kvaradona" lässt schon Großes erwarten - und in der Tat gibt es sowohl von der Spielweise als auch vom Werdegang Parallelen zum großen Diego Maradona. Kvaratskhelia ist zwar deutlich größer als die verstorbene argentinische Legende, aber seine schnellen Haken und Finten lassen die Gegner zuweilen ähnlich schülerhaft aussehen. Und wie der echte Maradona erfüllte er die Sehnsüchte der Fans des SSC Neapel, den er 2022/23 zur italienischen Meisterschaft führte - der ersten seit 1990, als Maradona noch für den Club aus Süditalien spielte. Auch international hat er der offensiv überall einsetzbare Kvaratskhelia schon für Aufsehen gesucht: 2022/23 wurde er zum besten jungen Spieler der Championa-League-Saison gekürt. Mit ihm steht und fällt das georgische Spiel.
Der Trainer: Willy Sagnol
Bestens in Deutschland bekannt aus seiner Zeit beim FC Bayern München ist der Franzose seit Februar 2021 bei den Georgiern im Amt und hat durch die EM-Qualifikation den Status des Nationalhelden. Noch ist unklar, ob Sagnol nach der Endrunde Trainer in Georgien bleibt, oder eine neue Herausforderung sucht. "Mein einziger Plan ist, den Fokus komplett auf die EM zu richten", so der 47-Jährige gegenüber dem "kicker", für den die EM-Qualifikation den bislang größten Erfolg seiner Cheftrainer-Karriere bedeutet.
Das Toptalent: Gabriel Sigua
Der georgische Kader ist relativ erfahren. Sigua ist der einzige Akteur unter 23 und damit schon allein deswegen das Toptalent. Bereits mit 17 Jahren gab der zentrale Mittelfeldspieler für Dinamo Tiflis sein Profidebüt und spielte sich im Frühjahr 2023 so in den Vordergrund, dass der FC Basel den 1,90 Meter großen Rechtsfuß verpflichtete. Beim zuletzt schwächelndem Schweizer Top-Club ist Sigua allerdings noch nicht gesetzt, konnte bei seinen bisherigen Einsätzen aber durchaus überzeugen. Drei Tore in bislang 14 zumeist kürzeren Ligaauftritten ist eine ordentliche Quote für den Mittelfeldspieler.
Die Erwartungshaltung
Sagnol hat betont, dass es vor allem darum geht, dass Land würdig zu repräsentieren und das Talent der Fußballer zu zeigen. Vom Achtelfinale wird nicht gesprochen, sondern nur von der Größe der Aufgabe. "Wir haben überhaupt nichts zu verlieren", sagt Sagnol - und hat damit natürlich Recht. Sollte Georgien die Gruppenphase überstehen wäre das das nächste Fußballwunder des kleinen Staats am Schwarzen Meer.
Prognose
Alles andere als Platz 4 in der Gruppe wäre ein Riesenerfolg für das Sagnol-Team. Gerade gegen Tschechien und die Türkei ist aber durchaus eine Überraschung möglich, sollte "Kvaradona" einen Sahnetag erwischen. Trotzdem ist das Vorrundenaus die wahrscheinlichste Option.
Stars aus der Bundesliga: Budu Zivzivadze (Karlsruher SC)
Portugal
Der Europameister von 2016 spielte eine makellose Qualifikation und fuhr zehn Siege in zehn Partien ein. Für den sechsten der FIFA-Weltrangliste ist es die neunte Teilnahme an einer EM. Zuletzt waren die Südeuropäer 1992 nicht bei der EM-Endrunde vertreten.
Der Topstar: Cristiano Ronaldo
Trotz begnadeter Kicker wie Bernardo Silva (Manchester City) oder Bruno Fernandes (Manchester United) ist es keine Frage, wer Portugals großer Star ist. Fraglich ist allerdings schon, ob Cristiano Ronaldo noch die Klasse vergangener Tage hat. Die EM wird zeigen, wie viel 35 Treffer aus der abgelaufenen Saison in Saudi-Arabien wert sind. Einen Rekord hat Ronaldo aber schon mit der Teilnahme sicher: Er ist der erste Spieler der Historie, der bei sechs EM-Endrunden dabei ist. Vor 20 Jahren ging sein Stern bei der Heim-EM 2004 auf.
Der Trainer: Roberto Martinez
Der Spanier ist ein Verfechter des Offensivfußballs und will nun mit Portugal nachholen, was ihm zwischen 2016 und 2022 mit Belgien nicht gelungen ist: einen Titel zu holen. Im Januar 2023 beerbte er Fernando Santos als Nationaltrainer. Große Fußstapfen, denn sein Vorgänger war knapp über 3000 Tage im Amt und holte Portugals bislang einzigen großen Titel. Es war aber Zeit für eine Veränderung. "Es war ein guter Wechsel", betont auch Kapitän Cristiano Ronaldo.
Das Toptalent: João Neves
Der defensive Mittelfeldspieler wird als einer der kommenden Topspieler Europas gehandelt und hat das Interesse zahlreicher internationeler Spitzenclubs geweckt. Der 19-Jährige ist seit der Endphase der Saison 2022/23 Stammspieler bei Benfica und wurde auf Anhieb portugiesischer Meister. In der abgelaufenen Saison war er mit seiner Pressingresistenz und dem überragenden Passspiel einer der prägenden Akteure beim Club aus der Hauptstadt. In der Nationalmannschaft ist er noch nicht gesetzt, aber seine Zeit wird kommen. Ob schon in Deutschland werden die nächsten Wochen zeigen.
Die Erwartungshaltung
Die Portugiesen wollen um den Titel mitspielen - gar keine Frage. Bei allen bisherigen EM-Teilnahmen überstanden die Südeuropäer immer die Gruppenphase und daran besteht auch diesmal im Land kein Zweifel. Ein Aus im Achtelfinale wie bei der letzten EM, als man an Belgien unter dem jetzigen Coach Martinez scheiterte, soll sich nicht wiederholen.
Prognose
Portugal ist der klare Gruppenfavorit und sollte als Gruppensieger ins Achtelfinale einziehen - sofern alles normal läuft. Wie weit es dann geht, wird von der Verfassung von Cristiano Ronaldo abhängen. Nur, wenn er auf dem hohen Niveau noch mithalten kann, ist ein Finaleinzug realistisch.
Stars aus der Bundesliga: -
Tschechien
Seit der Aufspaltung der Tschechoslowakei in zwei selbständige Staaten 1992 hat sich Tschechien immer für die EM-Endrunde qualifiziert. Gleich bei der ersten Teilnahme wurde der größte Erfolg gefeiert: Bei der EM 1996 musste sich Tschechien erst im Finale Deutschland geschlagen geben. Seitdem wechseln sich Vorrundenaus und mindestens das Viertelfinale von Turnier zu Turnier ab. 2021 war in der Runde der letzten Acht gegen Dänemark Endstation. Ein schlechtes Omen für 2024?
Der Topstar: Patrik Schick
Der Leverkusener Angreifer kam rechtzeitig zur EM nach langen Verletzungsquerelen wieder in Form und hatte mit vielen späten Toren großen Anteil an den Erfolgen der Werkself. Die Verantwortung ist im Nationalteam noch einmal deutlich größer, denn die Last des Tore schießen liegt fast allein auf den Schultern des 28-Jährigen. Schick hat aber schon bewiesen, dass er diesen hohen Ansprüchen gerecht werden kann. 2021 war er mit fünf Turniertoren gemeinsam mit Cristiano Ronaldo Torschützenkönig der Endrunde.
Der Trainer: Ivan Hasek
Nach der mäßig souverän geglückten Qualifikation trat Jaroslav Silhavy überraschend zurück und Hasek übernahm. Seitdem setzte es vier Siege in vier Partien, wobei es noch nicht gegen die ganz großen Gegner ging. Gerade Portugal wird ein anderes Kaliber als die Nationalteams von Nordmazedonien, Malta, Armenien und Norwegen. Haseks letzte Titel als Trainer in Europa sind schon eine ganze Weile her. 2000 und 2001 führte der 60-Jährige Sparta Prag zur Meisterschaft. Aber vielleicht ist Titel gewinnen auch wie Fahrradfahren.
Das Toptalent: Adam Hložek
Schicks Teamkollege hatte es in dieser Saison beim Deutschen Meister nicht immer leicht, Spielzeit zu bekommen. Das ist bei der üppig besetzten Offensive der Leverkusener aber auch keine Schande. Wozu der 21-jährige Angreifer aber in der Lage ist, zeigte er zuletzt beim 5:1-Erfolg in Frankfurt am 32. Spieltag, als er mit drei Vorlagen der Mann des Spiels war. Im letzten Test gegen Norwegen agierte Hlozek hinter einer Doppelspitze - eine Rolle, die er auch bei der Endrunde ausfüllen könnte.
Die Erwartungshaltung
Vom derzeitigen Team wird nicht so viel erwartet. Die Mannschaft ist in der Breite nicht so stark besetzt wie zu den Glanzzeiten Mitte der 90er- oder 00er-Jahre. Das Achtelfinale dürfte es bei der auf dem Papier nicht so starken Gruppe dann aber schon sein.
Prognose
Die Tschechen spielen gleich zum Auftakt gegen Gruppenfavorit Portugal. Kann das Hasek-Team da etwas Zählbares mitnehmen, ist das Achtelfinale greifbar. Alles weitere wäre schon eine Überraschung.
Stars aus der Bundesliga: Václav Černý (VfL Wolfsburg), Adam Hložek, Matěj Kovář, Patrik Schick (Bayer 04 Leverkusen), David Jurásek (TSG Hoffenheim)
Türkei
Die Türkei gewann die Qualifikationsgruppe D unter anderem vor den hochgehandelten Kroaten und ist zum sechsten Mal bei einer EM-Endrunde dabei. In drei der bisherigen fünf Turniere war allerdings nach der Vorrunde schon Schluss. Größter Erfolg bei einer Europameisterschaft war der Halbfinaleinzug 2008, als man Deutschland mit 2:3 unterlag.
Der Topstar: Hakan Çalhanoğlu
Der gebürtige Mannheimer hat die vielleicht beste Saison seiner Karriere hinter sich. Der 30-Jährige war der Taktgeber bei Inter Mailand und führte die "Nerazzurri" zur Meisterschaft. Neben seinen herausragenden Pässen steuerte er auch 13 Treffer in der Serie A bei - zuletzt hatte er 2013/14 für den Hamburger SV in einer Saison zweistellig in der Liga getroffen. An seiner Erfahrung können sich die Talente im Kader aufrichten.
Der Trainer: Vincenzo Montella
Der ehemalige Angreifer hat das Amt des Nationaltrainers im September 2023 von Stefan Kuntz übernommen. Nach drei Siegen in den ersten drei Partien - unter anderem ein 3:2 gegen Deutschland - ist die Türkei seit mittlerweile fünf Partien ohne Sieg. Darunter auch eine peinliche 1:6-Klatsche in Österreich. Montella setzt auf ein 4-2-3-1-System, von dem er nur ungerne abrückt. Mit dem türkischen Fußball ist er bestens vertraut, denn vor seinem Engagement als Nationalcoach arbeitete der 49-Jährige zwei Jahre für Adana Demirspor.
Das Toptalent: Arda Güler
"Seine Ballbehandlung und sein Gespür für den offenen Raum - das kann man nicht lernen, das hat man im Blut. Ich prophezeie ihm eine großartige Zukunft", sagt kein Geringerer als Carlo Ancelotti über den 19-Jährigen. Der Coach von Real Madrid will sein Juwel behutsam aufbauen - 440 Pflichtspielminuten sammelte der 2023 von Fenerbahce nach Spanien gewechselte offensive Mittelfeldspieler. Es werden perspektivisch sicher mehr werden. In der Nationalmannschaft winkt nun als Stammspieler die große Bühne für den begnadeten Techniker.
Die Erwartungshaltung
Trotz der zuletzt ausbleibenden Erfolgserlebnisse wird zumindest der Einzug ins Achtelfinale erwartet. Gleich beim Auftaktspiel gegen EM-Debütant Georgien soll dafür der Grundstein gelegt werden. Montella ist sich der des Anspruchs der türkischen Fans bewusst - und sieht es genauso: "Ich will mit der Türkei erfolgreich sein. Das Potenzial sehe ich auch", so der Italiener.
Prognose
Die Türkei hat gute Chancen, sich mindestens als Gruppenzweiter für die K.o.-Runde zu qualifizieren - dann würde aber der Sieger der "Todesgruppe" D mit Frankreich, der Niederlande, Österreich und Polen warten. Sollte der Einzug ins Viertelfinale gelingen - ob als 1., 2. oder eventuell sogar 3. der Gruppe, wäre das ein großer Erfolg.
Stars aus der Bundesliga: Salih Özcan (Borussia Dortmund)
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