xGoals und der Sonderfall Elfmeter: Sind die Schützen sicherer geworden?
Simon Rolfes ist Direktor Sport bei Bayer 04 Leverkusen, hat zwischen 2005 und 2015 insgesamt 288 Bundesliga-Spiele bestritten und trug 26 Mal das Trikot der deutschen Nationalmannschaft. An dieser Stelle schreibt er wöchentlich über die neuen, innovativen Bundesliga Match Facts powered by AWS, die ihr während der Spiele sehen könnt. Heute geht es um xGoals und den Sonderfall des Elfmeters.
Von Simon Rolfes
Was haben Bas Dost, Wout Weghorst, Silas Wamangituka, Marcel Sabitzer, Vincenzo Grifo und Lucas Alario gemein?
Sie alle traten am vergangenen 11. Spieltag zum Elfmeter an und alle sechs Schützen dieses Wochenendes verwandelten sicher. Warum mir das aufgefallen ist?
Um xGoals zu erklären, wird sich häufig am Beispiel des Elfmeters bedient. Das hat einen ganz einfachen Grund: Während sich die Umstände eines Torschusses im laufenden Spiel kaum reproduzieren lassen, gibt es bei einem Strafstoß immer die gleichen Bedingungen: Der Schütze schießt aus elf Metern Torentfernung, die Pfosten haben zum Ball einen Winkel von 37 Grad und zwischen dem ausführenden Spieler und dem Tor steht nur noch der gegnerische Torwart.
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Aus der Erfahrung von abertausenden von Torschüssen wissen wir: Die Torwahrscheinlichkeit beim Elfmeter beträgt 77 Prozent. Oder in xGoals ausgedrückt: 0,77. Das deckt sich mit meiner eigenen Erfahrung. Auch ich habe in meiner Zeit bei Bayer Leverkusen viele Strafstöße geschossen und trainiert. Etwa sieben bis acht von zehn konnte ich im Schnitt verwandeln.
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Die Saison 2020/21 zeigt aber bisher ein ganz anderes Bild: Bis zum Fehlschuss von Wout Weghorst am 7. Spieltag gegen Hoffenheim landeten nicht nur alle Elfmeter der bisherigen Saison im Tor, es gab saisonübergreifend bis dahin auch eine Serie von 35 verwandelten Strafstößen in Folge. Ein historischer Bestwert! In dieser Saison haben die Schützen von 44 Elfmetern 39 verwandelt. Das entspricht einer Erfolgsquote von 89 Prozent und liegt damit deutlich über der eigentlichen Strafstoß-Torwahrscheinlichkeit von 77 Prozent. Es stellt sich also die Frage: Sind die Schützen sicherer geworden?
Meiner Meinung nach gibt es für diese Entwicklung genau zwei Gründe: Erstens sind es die Geisterspiele. Natürlich macht es einen Unterschied, ob ich den fälligen Strafstoß vor leeren Rängen schießen kann oder ob ich von 20.000 gegnerischen Fans hinter dem Tor gnadenlos ausgepfiffen werde. Dass am Ende noch viel mehr Zuschauer vor den TV-Geräten sitzen, kann man in so einer Situation da schon eher ausblenden.
Was ich aber den viel entscheidenderen Grund finde: Viele Schützen haben – vor allem in der jüngsten Vergangenheit – ihre Technik verändert. Noch vor fünf Jahren war es normal, dass der Torwart früh springt. So konnten die Keeper teilweise auch noch sehr platzierte Schüsse in die Ecke parieren, sofern sie sich denn zuvor richtig entschieden hatten.
Heute verzögern viele Schützen den Anlauf beim vorletzten Schritt. So haben sie die Möglichkeit, vor dem Schuss noch einmal auf den Torhüter zu schauen. Springt der Torwart früh, können sie den Ball lässig in die andere Ecke schieben. Die Schlussmänner werden dadurch gezwungen, lange stehen zu bleiben. Bei einem platzierten Schuss in die Ecke haben sie dann keine Chance mehr.
Von den Schützen fordert das extrem viel Koordination: Abbremsen, ausgucken, spät entscheiden und dann auch noch platziert schießen. Bundesliga-Spieler wie Robert Lewandowski, Max Kruse oder Matheus Cunha haben diese Technik inzwischen aber perfektioniert. Das Resultat: Lewandowski hat in der Bundesliga 87 Prozent seiner Elfmeter verwandelt, Kruse 94 Prozent und Cunha sogar 100 Prozent.
Wenn das Trio also viele gute Nachahmer findet, so könnte sich der xGoals-Wert bei Elfmetern langfristig sogar etwas erhöhen.
Simon Rolfes über xGoals
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