Serhou Guirassy: Genau der Stürmer, der Dortmund gefehlt hat
In Serhou Guirassy hat Borussia Dortmund den effizientesten Angreifer der vergangenen Saison verpflichtet. Der abschlussstarke Stürmer kann der neue Fixpunkt in der BVB-Offensive werden, der dank seiner Laufwege und seines technischen Fähigkeiten auch in einem System mit Doppelspitze zu gefallen weiß.
Wide Receiver, Passempfänger, zählen im American Football zu den größten Stars: Sie sorgen nach den Pässen der Spielmacher, Quarterbacks, für den meisten Raumgewinn und tragen deshalb enorm dazu bei, dass Punkte aufs Scoreboard kommen. Die Receiver werden deshalb oft von Cornerbacks, Defensivspielern, gedeckt, verfolgt und am Catch, dem Fangen des Passes, gehindert. Um sich den lästigen Defense-Spezialisten zu entledigen und frei für Pässe zu werden, müssen Receiver immer wieder zu extrem schnellen Körpertäuschungen und Richtungswechseln, den "Cuts", in ihren Laufrouten ansetzen.
Ein Meister dieser Cuts ist beispielsweise Justin Jefferson von den Minnesota Vikings – mit seinen Täuschungen packt er seine Gegenspielern regelmäßig auf die Rollerskates: Während die Verteidiger für einen Bruchteil mit sich und der Schwer- bzw. Fliehkraft um ihre Körperbeherrschung ringen, hat der seit wenigen Wochen bestbezahlte Receiver der Welt genug Zeit und Platz für einen freien Catch und somit Raumgewinn oder – bestenfalls – einen Touchdown erzielt.
Ein Meister dieser Cuts im Fußball ist der neue Angreifer von Borussia Dortmund: Serhou Guirassy. Auch der Guineer treibt seine Gegenspieler regelmäßig mit seinen Täuschungen beim Tiefenlauf in den Wahnsinn: Obwohl Verteidiger ihn stets im Blick behalten, vollzieht der 28 Jahre alte Knipser pfeilschnelle Richtungswechsel und schickt seine Gegenüber mit seinen Finten in die falsche Richtung. Am Ende steht bei Guirassy jedoch nicht die Währung "Yards" oder "Touchdown" – sondern ein Tor: 28 Mal hat er in seinen 28 Bundesliga-Spielen der vergangenen Saison für Stuttgart eingenetzt.
Guirassy: Ausgestattet mit einer Menge Fußball-IQ
Neben seinen Körpertäuschungen verfügt der im französischen Arles geborene Knipser über einen weiteren ungemeinen Vorteil: Er ist unfassbar schnell im Kopf. Der Stürmer hat eine sehr gut ausgeprägte Antizipationsfähigkeit und sieht Spielzüge beziehungsweise kommende Spielsituationen früh voraus. Seine Endgeschwindigkeit ist mit 33,15 km/h eher im Mittelfeld anzusiedeln, doch weil er ein sehr gutes Gespür für Raum und Zeit, gepaart mit einem guten Antritt, hat, entwischt er dank seines Gedankenvorsprungs schnelleren Verteidigern dennoch.
Der wuchtige Angreifer, 82 Kilogramm bei 1,87 Meter Körpergröße, bleibt zudem äußerst ruhig in Stresssituationen, sei es unter Raum-, Zeit- oder Gegnerdruck: Holen ihn Verteidiger auf dem Weg in die Tiefe wieder ein, bleibt er cool: Er kann sich körperlich behaupten, den Ball abschirmen und behält die nötige Körperspannung und Balance für einen erfolgreichen Abschluss: Mit rechts (18 Tore), links (fünf) oder auch per Kopf (fünf) netzte er so vergangene Saison ein.
Guirassy ist einfach der Traum eines jeden Passgebers: Der Stürmer bietet nämlich immer wieder Tiefenläufe hinter die Kette an, da genügt oft ein Blick zur Verständigung. Und diesen Augenkontakt zum Passgeber stellt der Angreifer regelmäßig her: Er läuft meist einen Bogen parallel zur letzten Verteidigungslinie des Gegners, ehe er plötzlich in die Tiefe abdreht. Und der BVB hat viele Akteure in den eigenen Reihen, die sehr gerne diese Schnittstellenpässe in die Vertikale spielen: Nico Schlotterbeck, Marcel Sabitzer oder auch Julian Brandt haben dank ihrer Technik und der Übersicht im Spiel nach vorne die Möglichkeit, diese tödlichen Pässe perfekt zu timen und an den Mann zu bringen.
Nicht nur im Raum, sondern auch am Ball eine Klasse für sich
Wie stark Guirassys Timing und Übersicht bei diesen Bogenläufen in die Tiefe ist, sieht man daran, dass er in der vergangenen Saison bei Pässen in seine Richtung insgesamt nur 17 Mal im Abseits stand. Doch der Angreifer ist nicht nur gut darin, sich clever Freiraum zu erarbeiten: Der 28 Jahre alte Angreifer kann aufgrund seiner technischen Fähigkeiten am Spielgerät auch eine Fülle an Chancen einleiten und für andere kreieren – in Zukunft ja vielleicht auch für "Fülle", den deutschen Nationalstürmer: Der Guineer liebt es, mit äußerst wenig Kontakten zu agieren und braucht auch meist nur den einen Touch, um Angriffsszenen zu beschleunigen und seine Mitspieler in Szene zu setzen – oder eben selbst abzuschließen.
Guirassy war deshalb in der vergangenen Saison alle 15 Minuten direkt an einem Torschuss beteiligt! Nachrückende Achter wie Sabitzer oder Brandt würden vom Wandspieler Guirassy ebenso profitieren wie die schnellen Außen Donyell Malen oder Karim Adeyemi. Und natürlich würde auch ein Angreifer neben beziehungsweise um den Guineer herum dank des BVB-Neulings glänzen können: Frag nach bei Nationalspieler Deniz Undav, der sich auf dem Feld prächtig mit Guirassy verstand. Der schnelle Youssoufa Moukoko könnte von dessen Bällen hinter die Kette profitieren, Niclas Füllkrug oder Sébastien Haller können ebenfalls auf engstem Raum kombinieren oder schnell und präzise zum Abschluss kommen.
84 Prozent der Pässe unter Gegnerdruck kamen von Guirassy an. Damit hatte der Torjäger das beste Passspiel aller Stürmer unter Gegnerdruck, den er auch durch erfolgreiche Finten und Dribblings grazil umgehen kann.
"Er war wie ein großer, unglaublich liebenswerter Bär"
Durch Guirassy wird der BVB in der Offensive auf jeden Fall schwerer ausrechenbar, denn gegnerische Verteidiger können sich beim spielintelligenten Nationalspieler Guineas nie sicher sein, was als nächstes kommt. Ein Lauf in die Tiefe? Ein dem Ball entgegenkommender Laufweg, um dann als Verteiler zu agieren? Kommt der schnelle Schuss aufs Tor oder fintiert er sich im Eins-gegen-eins in eine noch bessere Abschlussposition?
Guirassy stellt die Abwehr der Opponenten vor eine Vielzahl an Fragen – und nur er allein hat darauf die richtigen Antworten. Er sorgt mit seinen Läufen und Pässen für Raumgewinn. Mit seinen entweder wuchtigen (drei Tore mit mehr als 110 km/h Schussgeschwindigkeit) oder gefühlvoll platzierten Abschlüssen dreht er mit seinen Treffern erfolgreich am Scoreboard: In der vergangenen Saison hat er 7,49 Tore mehr erzielt als eigentlich statistisch möglich war (28 Treffer bei 20,51 xG).
Guirassy dürfte auch schnell in seinem neuen Umfeld in Dortmund Fuß fassen – sobald er seine Außenbandverletzung im Knie auskuriert hat: Ehemalige Mitspieler beschreiben ihn als unglaublich netten Zeitgenossen. "Er war wie ein großer, unglaublich liebenswerter Bär", sagt Philippe Hinschberger, sein ehemaliger Trainer und Förderer bei Stade Laval, wo Guirassy erstmals Profiluft schnuppern durfte. Aus dem anfänglich zurückhaltenden Angreifer ist über die letzten Jahre ein mit Leistung vorangehender Unterschiedsspieler geworden, der alleine die komplette Statik und Power einer Offensive auf ein neues Niveau heben kann. Auch das erinnert ein wenig an Justin Jefferson, Minnesotas Top-Receiver und große Offensivhoffnung, der seine Farben in Zukunft zu Titeln führen soll.
Patrick Dirrigl
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