Rudi Völler schnürt bei der EM 1988 einen Doppelpack gegen Spanien - © imago/WEREK
Rudi Völler schnürt bei der EM 1988 einen Doppelpack gegen Spanien - © imago/WEREK
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Deutschland gegen Spanien: ein Duell auf Augenhöhe

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Deutschland trifft im Viertelfinale der Euro 2024 auf Spanien! Nach der erfolgreichen Regenschlacht gegen Dänemark geht es in der Runde der letzten Acht gegen ein Team, das spielerisch mit am meisten bei dieser EM überzeugt hat. bundesliga.de wirft einen Blick auf die Bilanz dieses Match-ups und zeigt euch bedeutende Duelle zwischen beiden Nationen.

Leroy Sané hat im Zentrum ein wenig Platz, macht mit dem Ball am Fuß ein paar Schritte und spielt dann einen perfekt getimten Pass in die Gasse für den eingestarteten Jamal Musiala. Obwohl der deutsche Tempodribbler Spaniens Über-Sechser Rodri im Rücken spürt, stellt er seinen schlaksigen Körper gut rein und streichelt die Kugel mit rechts in seinen Lauf. Filigran setzt sich Musiala also gegen den Mittelfeldchef von Spanien und Manchester City durch – doch im Strafraum wird ihm der Ball geklaut!

Allerdings nicht von einem Spanier, sondern von Niclas Füllkrug! Der Stürmer zieht das Rund mit links weg von Musiala und knallt es mit 118 Stundenkilometern vorbei an Keeper Unai Simón ins linke obere Eck – das 1:1 für Deutschland im zweiten Gruppenspiel bei der Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Weil Spanien wenige Tage darauf aber gegen Japan verliert, nützt dieser Punkt den Deutschen nichts: Die Mannschaft von Trainer Hansi Flick scheidet in der Gruppenphase aus.

Aber: Die DFB-Elf bietet "La Furia Roja" die Stirn. Und: Füllkrug beweist seine Knipserqualitäten als Joker. Nur 13 Minuten nach seiner Einwechslung trifft der Angreifer 2022 gegen Spanien. 773 Minuten hat der Stürmer von Borussia Dortmund mittlerweile für sein Land absolviert, in 20 Länderspielen starke 13 Mal geknipst. Das macht im Schnitt alle 59 Minuten ein Tor! "Die Torquote, die er hat, ist unglaublich und wohl nur mit der von Gerd Müller zu vergleichen", lobt der Direktor Nationalmannschaft und ehemalige Topstürmer Rudi Völler Füllkrug zuletzt in höchsten Tönen: Hatte "Fülle" bei der Heim-EM gegen Schottland und die Schweiz doch ebenfalls wieder als Joker genetzt.

Niclas Füllkrug hämmert bei der WM 2022 die Kugel zum 1:1 gegen Spanien in die Maschen - IMAGO/ANL/Shutterstock

Die Bilanz spricht knapp für Deutschland

Dank seines 1:1 gegen Spanien darf sich Füllkrug auch als der letzte deutsche Torschütze gegen die Iberer bezeichnen. Deutschland hat in insgesamt 26 Begegnungen mit Spanien 31 Treffer erzielt, 32 Mal durfte "La Furia Roja" über eigene Tore jubeln. Mit neun Siegen bei neun Unentschieden und acht Niederlagen spricht die bisherige Bilanz gegen Spanien ganz knapp für den DFB.

Das Viertelfinal-Duell am Freitag in Stuttgart (18 Uhr) wird das insgesamt vierte Aufeinandertreffen der beiden Fußballnationen bei einer Europameisterschaft. Bei den drei EM-Spielen zuvor gewann zwei Mal Spanien, ein Erfolg ging an das DFB-Team. In der WM-Bilanz hat dann wieder Deutschland die Nase vorn: Zwei Siege und zwei Unentschieden bei insgesamt fünf Duellen. 

Nimmt man Welt- und Europameisterschaften zusammen, kommen beide Nationen jeweils auf drei Siege. Traditionell schenken sich Spanien und die DFB-Truppe also nichts.

Nicht zu bremsen von den Spaniern: Rudi Völler 1988 - IMAGO/Pressefoto Rudel/Herbert Rudel

Völler war 1988 der Matchwinner

Beim letzten Pflichtspielsieg Deutschlands gegen die Südeuropäer stand allerdings noch die Mauer: 1988 bezwang Westdeutschland bei der Heim-EM die Spanier mit 2:0 in der Gruppenphase. Was bei diesem letzten Erfolg zudem als gutes Omen gewertet werden darf: Dank des Doppelpacks von Rudi Völler sicherte sich die Mannschaft von Teamchef Franz Beckenbauer den Einzug ins Halbfinale der Europameisterschaft.

"Spanien hat traditionell gute Fußballer und spielt aktuell auf Top-Niveau. Nun kommen zu ihrem klassischen Stil auch noch zwei wahnsinnig schnelle Außenbahnstürmer hinzu. Das macht sie noch gefährlicher. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sie in ihre Eins-gegen-eins-Duelle gehen", sagte der Doppelpacker von 1988 über die aktuelle spanische Kicker-Generation.

Doch laut Völler verfügt auch die Mannschaft von Bundestrainer Julian Nagelsmann über Spieler, die ähnliche Qualitäten mitbringen wie Spaniens Flügelzange um Nico Williams und Lamine Yamal: "Umso schöner ist es zu wissen, dass wir auch solche Spielertypen haben. Die Bedeutung von Leroy Sané, Maximilian Beier oder Chris Führich ist da nicht zu unterschätzen. Alle drei haben eine unglaubliche Geschwindigkeit. Sie sind unheimlich wertvoll für uns, wenn sie auf den Platz kommen. Mit diesen Qualitäten kannst du jedem Gegner weh tun."

Bittere Nackenschläge 2008 und 2010

Besonders schmerzhaft war das letzte Aufeinandertreffen mit Spanien bei einer EM: Das Finale in Wien ging damals gegen dominant agierende Spanier mit 0:1 verloren. Der damalige Matchwinner: Fernando Torres, wegen seiner weichen und fast kindlichen Gesichtszüge auch "El Niño" (das Kind) genannt. Im Mittelfeld wurde dem genialen Regisseur Xavi zu viel Platz gelassen, der konnte sich im Ernst-Happel-Stadion gemütlich in Richtung Viererkette aufdrehen und den pfeilschnellen Torres in die Tiefe schicken. Obwohl Philipp Lahm, der heutige Turnierdirektor der EM 2024, es schaffte die Innenbahn zuzumachen, konnte er den wuchtigen Neuner nicht aufhalten: Der überholte den Außenverteidiger dann einfach außen und hob das Rund gekonnt über den herausstürmenden Keeper Jens Lehmann hinweg zum zweiten EM-Sieg Spaniens.

Nur zwei Jahre später gab es das nächste Aufeinandertreffen mit den Iberern bei einem großen Turnier: Im Halbfinale der Weltmeisterschaft duellierten sich die beiden Teams im südafrikanischen Durban um den Einzug ins Finale. Der große Favorit aus Spanien war erneut überlegen, scheiterte immer wieder am überragenden Manuel Neuer – bis Xavi in der 73. Minute eine Ecke von links in den Strafraum trat. Der 1,78 Meter große Innenverteidiger Carles Puyol schraubte sich dank seiner Sprungfedern in den Beinen in die Luft und beförderte den Jabulani mit der schieren Urgewalt seines unzähmbaren Lockenkopfs ins rechte obere Eck. Neuer war geschlagen, die wilden und jungen Deutschen waren raus. Immer wieder stellte sich Spanien als Endstation für die Elf von Bundestrainer Jogi Löw bei Turnieren dar.

Nicht zu greifen für Philipp Lahm und Jens Lehman: der pfeilschnelle Fernando Torres - imago sportfotodienst via www.imago-images.de

Die letzten Duelle mit den Spaniern

Seit dem 0:1 bei der WM 2010, als sich Spanien zum ersten und einzigen Mal zum Weltmeister krönte, gab es fünf Spiele zwischen Deutschland und dem Europameister von 1964, 2008 und 2012: 2014 gewann Deutschland vier Monate nach dem vierten WM-Titel mit 1:0 – Toni Kroos brach gegen seine Wahlheimat den deutschen "Spanien-Fluch". Mit Schrecken werden viele Schwarz-Rot-Gold-Fans allerdings an die vorletzte Partie gegen die Iberer zurückdenken: 2020 gab es in der Gruppenphase der Nations League ein 0:6 in Sevilla. Höher verlor Deutschland nur 1909 bei einem 0:9 gegen England in Oxford.

Was dem DFB-Team aber Mut machen dürfte: Vier der letzten fünf Duelle mit Spanien waren mindestens auf Augenhöhe, neben dem Sieg 2014 gab es drei Mal ein 1:1 – darunter auch das oben beschriebene Unentschieden in der WM-Gruppenphase 2022. Wenn Deutschland es schafft, die Leistung aus den ersten 20 bis 25 Minuten vom Achtelfinale gegen Dänemark, laut DFB-Coach Nagelsmann "unsere besten Minuten des Turnier", abzurufen, ist am Freitag alles drin. Deutschland hat es geschafft "Widerstände zu überwinden. Die Resilienz der Truppe ist echt stark!", lobte Nagelsmann die Seinen, wohlwissend, dass es im Viertelfinale gegen die Offensiv-Macht Spaniens ebenfalls darum geht, resilient gegen die Kugel und im eigenen Ballbesitz effizient zu agieren.

Und wenn bis kurz vor Schluss alles eng und offen bleibt, sich Deutschland nur ein wenig Raum bietet, können Ballkünstler wie Sané, Musiala oder Florian Wirtz für einen magischen Moment sorgen. Auszuschließen bleibt aber nicht, dass Topjoker "Fülle" ihnen dann doch die Show stiehlt.

Patrick Dirrigl

1,78 Meter groß, aber dank Sprungfedern in den Beinen ungemein kopfballstark: Carles Puyol - IMAGO/MEXSPORT