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Überragende Offensive, anfällige Defensive: Bayerns riskanter Spielstil in der Analyse

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Der FC Bayern München ist ungeschlagener Tabellenführer, agiert unfassbar dominant. Vor allem wegen des hohen Pressings, das Vincent Kompany eingeführt hat. Aber: Durch die hohe Positionierung des Teams bietet der FCB enormen Raum für Konter.

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Der FC Bayern München startete mit vier Siegen und zwei Remis in die Bundesliga-Saison 2024/25 und hat damit nach sechs Spieltagen exakt dieselbe Bilanz vorzuweisen wie zum gleichen Saisonzeitpunkt in der Vorsaison. Doch in dieser Saison ist einiges anders: Zum einen ist der Rekordmeister aktuell als ungeschlagener Tabellenführer in die Länderspielpause gegangen und war nach sechs Spieltagen der Vorsaison "nur" Dritter hinter Leverkusen und Stuttgart. Und der wohl größte Unterschied im Vergleich zum Vorjahr: die Spielweise des Rekordmeisters.

Unter dem im Sommer vom FC Burnley verpflichteten Trainer Vincent Kompany ist man dem Spiel unter dessen Lehrmeister Pep Guardiola, der zwischen 2013 und 2016 in München coachte, wieder deutlich näher gekommen. Kompanys Ansatz ist auf totale Dominanz ausgelegt: Das Spiel wird von hinten aufgebaut, Keeper Manuel Neuer hat eine wichtige Rolle im Spielaufbau inne. Um in der Spielfortsetzung Überzahl im Mittelfeld zu schaffen, rückt vor allem der rechte Außenverteidiger häufig ins Zentrum ein. Daher fällt es auch kaum ins Gewicht, dass rechts meist der Linksfuß Raphaël Guerreiro aufläuft: Man benötigt mehr seine Spielstärke im Zentrum und weniger seine Flanken über rechts. Alphonso Davies bleibt aufgrund seiner Schnelligkeit und dem damit einhergehenden Tiefgang öfter auf seiner linken Außenbahn.

Druck, Druck, Druck – und eine beeindruckende Offensive

Durch die Überzahl im Zentrum haben die Bayern-Akteure zahlreiche Anspielstationen in nächster Nähe und so die Kontrolle über das Spiel: Im Schnitt hatte der FCB 66 Prozent Ballbesitz - das ist natürlich der Bestwert der Bundesliga. Auch die Passquote von 91 Prozent sucht ihresgleichen in der Bundesliga. Kompany fordert zudem in der Arbeit gegen den Ball die höchste Intensität: Wird die Kugel verloren, dann geht es direkt aggressiv ins kollektive Gegenpressing. Versucht sich der Gegner beispielsweise nach einem Abstoß selbst in einem gepflogenen flachen Aufbauspiel, lässt der Rekordmeister seinen Widersachern kaum Luft zum Atmen: Es wird über das ganze Feld aggressiv Mann gegen Mann gepresst.

Dieser maximale Stress, der durch den von den Bayern erzeugten permanenten Raum-, Zeit- und Gegnerdruck entsteht, führt zu zahlreichen Ballverlusten auf des Gegners Seite und damit zu enorm vielen Eroberungen des Spielgeräts auf Seiten des FCB. Durch die Ballgewinne in der gegnerischen Hälfte ist der Weg zum Tor natürlich geringer, die Münchener kommen schnell zu vielen Abschlüssen. 113 Torschüsse gab die Mannschaft von Kompany in den ersten sechs Spielen ab. Nur Meister Leverkusen hat mehr. Der Expected-Goals-Wert von 14,3 ist zwar "nur" der dritthöchste der Bundesliga, dafür sind die 20 Buden und die damit einhergehende Abschluss-Effizienz von +5,7 das Maß aller Dinge in der Bundesliga.

Eine Woche ohne Sieg – trotz der Dominanz

Zufrieden ist man in der bayerischen Landeshauptstadt aber nicht zu 100 Prozent. Klar, die Spielweise kommt sehr gut an bei den Vereinsoberen: "Wir sind viel schneller am Ball, pressen höher: Es macht unheimlich viel Freude zuzusehen", bekannte Herbert Hainer, der Präsident des FCB. Das große Aber der vergangenen Woche: Es gab in den letzten drei Partien keinen Sieg für München. Dem 1:1 gegen den Deutschen Meister Bayer 04 Leverkusen folgte unter der Woche die erste Pflichtspiel-Niederlage mit dem neuen belgischen Coach - ein 0:1 bei Aston Villa. Nach der Niederlage in Birmingham folgte nun am Sonntag das 3:3 gegen effiziente Adlerträger von Eintracht Frankfurt.

Diese mit dem Ball äußerst attraktive Spielweise hat einen Haken: Das überladene Zentrum gibt Räume auf den Außenpositionen preis. Und: Weil im Spiel gegen den Ball das aggressive Pressing dermaßen hoch stattfindet, ist auch die Verteidigungslinie viel höher positioniert als das beim FCB in den vergangenen Jahren noch der Fall war. Im Rücken der beiden Innenverteidiger, Dayot Upamecano und Minjae Kim bilden fast immer das Abwehrduo im Zentrum, entstehen so Räume, die die beiden Abwehrrecken trotz ihrer für Verteidiger hohen Geschwindigkeit nicht immer stopfen können.

Im Gegenpressing, also nach Ballverlust, gehen die Bayern so aggressiv vorne drauf, dass schon im Mittelfeld Räume entstehen können. Verfügt der FCB-Gegner über druckresistente und ballsichere Spieler, kann diese Pressinglinie auch mal überspielt werden - und dann müssen Upamecano oder Kim nach vorne verteidigen, um das Aufdrehen in Richtung des Bayern-Tores schnellstmöglich zu unterbinden. Gelingt dies nicht, bietet sich Münchens Widersachern enorm viel freie Wiese. Wenn gegnerische Spieler wie ein Omar Marmoush auch noch über die entsprechende Explosivität, Endgeschwindigkeit und Effizienz im Abschluss verfügen, wird es ganz schwer, diese Gegenangriffe zu verteidigen.

Jhon Duran überlistet den hoch stehenden Manuel Neuer - IMAGO/Manjit Narotra

Hohe gegnerische Effizienz

Sieben Gegentreffer haben die Münchener an den ersten sechs Spieltagen der Bundesliga kassiert, nur in zwei der sechs Partien stand die Null. In den beiden ersten Champions-League-Duellen setzte es ebenfalls Gegentore: Nicht nur durch Bayern-Schreck Unai Emery - der baskische Trainer findet mit seinen Teams immer wieder Mittel und Wege, den Bayern weh zu tun - sondern auch gegen heillos überfordert agierende Kroaten von Dinamo Zagreb fing man sich zwei Gegentreffer beim 9:2-Kantersieg ein.

Mehr als ein Gegentor pro Bundesliga-Partie kassierte der FCB in den vergangenen 16 Jahren nur in einer weiteren Spielzeit: 2020/21 waren es sogar neun. Dabei ließen die Bayern gar nicht viele gegnerische Torschüsse zu: 32 gegnerische Abschlüsse sind mit Abstand der niedrigste Wert ligaweit. Jedes andere Team ließ mindestens 59 zu! Das bedeutet, statistisch hatte jeder vierte bis fünfte gegnerische Torschuss einen Gegentreffer zur Folge. Bayern-Keeper Neuer parierte in dieser Saison nicht mal die Hälfte der Bälle, die auf seinen Kasten kamen (nur 46 Prozent abgewehrte Torschüsse).

Der Weltmeister von 2014 steht aber am Ende einer Kette von missglückten Verteidigungsaktionen davor, wenn also das Pressing und Vorwärtsverteidigen seiner Vorderleute keine Früchte trägt. Beim 0:1 in der Champions League hatte Aston Villas Trainerfuchs Emery Neuer ganz klar ausgeguckt: Weil das gesamte Team unter Kompany höher agiert, rückt auch der 38 Jahre alte Schlussmann weiter nach vorn: "Bei der Analyse haben wir viel über die in der Regel sehr hohe Positionierung von Neuer gesprochen", bekannte der Baske, der dies seinem Joker Jhon Duran auch vor dem Speil einbläute. "Ich wusste, dass er schießen würde, weil er diese Möglichkeit bei Neuer im Kopf hatte", sagte Emery zum Lupfer Durans über Neuer hinweg.

Palhinha als Lösung der Probleme?

"Das war leider ein Treffer, der gehört zum kalkulierten Risiko dazu. Vielleicht kann ich zwei Meter weiter hinten stehen, aber es wäre trotzdem ungewiss gewesen, ob ich ihn bekomme. Das ist unser Spiel", schilderte Neuer wie er in der Champions League überwunden wurde. Und an dieser Spielweise will Coach Kompany auch erst mal nichts ändern.

Allerdings könnte er das kickende Personal auf dem Feld an die leichteren defensiven Schwierigkeiten anpassen: Joshua Kimmich und Aleksandar Pavlovic harmonieren gut auf der Doppelsechs. Doch die beiden sind keine klassischen Zweikämpfer und Balleroberer, denken eher offensiv denn defensiv. Ein Akteur, der für mehr Balance im Zentrum sorgen könnte, ist der im Sommer vom FC Fulham verpflichtete Sechser João Palhinha. Bereits Kompanys Vorgänger Thomas Tuchel wollte den Portugiesen unbedingt in seinem Team und merkte immer wieder an, dass dem FCB eine "holding Six", eine Wortschöpfung Tuchels für einen defensiven und seine Positione haltenden Sechser, gut gebrauchen könnte.

Kimmich könnte als nomineller Rechtsverteidiger beginnen und wie bisher Guerreiro oder Konrad Laimer das zentrum verdichten und so seine Spielstärke mehr ausleben. Auch ein 4-3-3 mit Palhinha, Pavlovic und Kimmich im Mittelfeld ist denkbar – doch dafür müsste Kompany einen seiner derzeit überragenden Offensivkünstler Serge Gnabry, Michael Olise oder Jamal Musiala auf die Bank setzen, weil am fitten Weltklassestürmer Harry Kane kein Vorbeikommen ist. "Wir haben jetzt dreimal nicht gewonnen. In dieser Krise befinde ich mich sehr gerne", sagte Ur-Bayer Thomas Müller nach dem 3:3 in Frankfurt und ließ so keinerlei Unruhe aufkommen. Auch das ein Unterschied zum Vorjahr.

Patrick Dirrigl