Thomas Tuchel soll den FC Bayern München zu Titeln führen
Thomas Tuchel ist zurück in der Bundesliga: Nachdem er beim 1. FSV Mainz 05 und Borussia Dortmund bereits seine Exzellenz bewies, sorgte er bei den Spitzenclubs Paris Saint-Germain und dem Chelsea FC für Erfolge. Nun soll er den FC Bayern München zu zahlreichen Titeln führen.
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Salz- und Pfefferstreuer werden stundenlang energisch über den Tisch einer Münchner Bar am Odeonsplatz geschoben. Die Gewürzbehälter sollen Fußballspieler darstellen, die wie Schachfiguren über den Tisch geschoben werden, um bestimmte Formationen aus früheren Partien nachzuspielen. Die Fußball-Masterminds, die sich mit der Hand an Salz und Pfeffer wie Schach-Großmeister verhalten, sind Pep Guardiola, der Lehrmeister, und Thomas Tuchel, der eifrig zuhörende Schüler.
2015 hat sich diese oft zitierte Taktik-Diskurs zugetragen, Tuchel befand sich gerade in seinem Sabbatical nach seinen fünf überaus erfolgreichen Jahren als Coach beim 1. FSV Mainz 05. Guardiola coachte in seinem zweiten Jahr den FC Bayern München und dominierte die Bundesliga. Kennengelernt hatten sich die beiden Taktikfüchse am Seitenrand der Saison 2013/14, als die Bayern die "Nullfünfer" zwei Mal schlugen (4:1 und 2:0). Im Spieljahr 2015/16, also wenige Monate nach dem Salz- und Pfeffer-Match, duellierten sie sich gleich drei Mal: Der FCB gewann den ersten Klassiker der Saison deutlich (5:1), das Rückspiel in der Bundesliga endete remis (0:0). Das wichtigste und turbulenteste Spiel war aber das DFB-Pokalfinale, das mit 4:3 an die Bayern ging.
Tuchel vs. Guardiola – und Dortmund
Fünf Jahre dauerte es, bis die beiden Weltklasse-Trainer, die mittlerweile auch miteinander befreundet sind, bis es zu den nächsten direkten Aufeinandertreffen kam: Tuchel coachte nun den FC Chelsea, Guardiola Manchester City. Innerhalb von sechs Wochen spielten die "Blues" drei Mal gegen die "Skyblues" - dem Deutschen, in der Münchner Bar noch eher Schüler war, gelingt sein Meisterstück: Das Halbfinale des FA-Cups ging an Chelsea, die Premier-League Partie ebenso – doch am wichtigsten war die dritte und letzte Partie: das Champions-League-Finale. Tuchels Londoner gewannen ein taktisch hoch anspruchsvolles Spiel mit 1:0, Torschütze war Kai Havertz.
Die beiden Coaches gehören zum obersten Regal der Trainer-Gilde und treffen bald schon wieder aufeinander: Tuchel ist der neue Chef-Dirigent bei Guardiolas Ex-Club Bayern. Und im Viertelfinale der Champions League wartet Manchester City auf den Deutschen Rekordmeister. Bevor es Mitte April zum Duell mit dem Katalanen kommt, steht aber erst mal eine weitaus brisanteres Treffen mit Tuchels eigener Vergangenheit an: Die Bayern sind am 26. Spieltag der Bundesliga im Klassiker gefordert und empfangen Tabellenführer Borussia Dortmund. Dann geht es drei Tage später direkt ins Pokal-Viertelfinale nach Freiburg – Wochen der Wahrheit für die Bayern.
Tuchels Titel
Zwei Saisons coachte Tuchel die Schwarz-Gelben, in der ersten Saison wurde der BVB mit überragenden 78 Punkten Zweiter in der Bundesliga hinter den Guardiola-Bayern, die auf 88 Zähler kamen. 2016/17 wurde Dortmund Dritter, gewann aber den DFB-Pokal – es war Tuchels erster Titel im Profi-Bereich. Mit dem Star-Ensemble von Paris Saint-Germain kamen nochmals sechs Trophäen zur Sammlung des im bayerischen Krumbach geborenen Trainers hinzu: Die französische Meisterschaft (2x), der französische Pokal (1x), der französische Ligapokal (1x) und der französische Superpokal (2x). Der Henkelpott blieb Tuchel bei PSG noch verwehrt: Im Finale 2020 verlor er mit 0:1 gegen seinen neuen Arbeitgeber.
Bei Chelsea regnete es die internationalen Ehrungen, neben der Champions League triumphierte Tuchel im UEFA Supercup, schnappte sich die FIFA Klub-Weltmeisterschaft und heimste darüber hinaus noch die Auszeichnung als Welt-Clubtrainer des Jahres ein.
Tuchels Weg zum Profi-Trainer
Als Spieler ging es für Tuchel nicht so hoch hinaus: Das heute 49 Jahre alte Taktik-Genie durchlief die Jugend des FC Augsburg, schaffte es dort aber nicht zu einem Einsatz beim ersten Team. Für die Stuttgarter Kickers lief der 1,90 Meter große Defensiv-Stratege acht Mal in der 2. Bundesliga auf. In der Regionalliga spielte der Libero Tuchel noch 68 Mal für den SSV Ulm, ehe er aufgrund einer schweren Knieverletzung als 24-Jähriger die Schuhe an den Nagel hängen musste. Daraufhin studierte Tuchel Business Administration und jobbte nebenbei als Barkeeper.
Bei der zweiten Mannschaft des VfB Stuttgart hätte der Schlaks es gerne noch einmal mit dem Kicken versucht, sein damaliger Ulmer Trainer Ralf Rangnick, zu der Zeit dann beim VfB an der Seitenlinie, hätte ihn mit Kusshand für den Profi-Unterbau verpflichtet. Aber aufgrund des chronischen Knorpelschadens sollte das nicht klappen. Mastermind Rangnick hatte eine andere Idee für seinen früheren Schüler: Der Trainerfuchs offerierte Tuchel einen Job als Coach der Stuttgarter U14. Unter Hermann Badstuber, dem Vater des ehemaligen Bayern-Profis Holger, wurde Tuchel 2004 Co-Trainer der U19, die 2004/05 gelang den Schwaben der Gewinn der deutschen A-Junioren-Meisterschaft. Vier Jahre später, nun als Chef der Mainzer U19, wiederholte Tuchel dieses Kunststück. Nur wenige Monate später nach der Mainzer Meisterschaft wurde er zum Chef-Coach der "Nullfünfer" befördert – und agierte fortan in der Bundesliga.
Erfahrung pur: Tuchel hat es mehrfach bewiesen
Dass Tuchel eines Tages mal ein Trainer für die Bayern werden könnte, bewies er beispielsweise im September 2010, als die berühmte Mainzer "Boygroup" um Andre Schürrle, Lewis Holtby und Adam Szalai beim FCB unter Trainer-Legende Louis van Gaal mit 2:1 siegte – samt ikonischem Luftgitarren-Jubel. Der Rekordmeister bekommt in Tuchel einen akribischen Arbeiter, einen Taktikfuchs, der von den Besten gelernt hat und sich auf jeder seiner Stationen enorm weiterentwickelt hat. Der mittlerweile 49-Jährige hat wahnsinnig viel Erfahrung im europäischen Spitzenfußball, kennt zudem die Bundesliga aus dem Effeff.
Wie man mit einer Truppe voller Stars wie bei den Bayern umgeht, hat er beispielsweise mit den Härtefällen Kylian Mbappe und Neymar bei Paris vorgemacht. Wie man Profis mit leicht angeknackstem Selbstbewusstsein aufpäppelt und zum Erfolg führt, zeigte er beim CFC. Zudem hat Tuchel bereits bewiesen, dass er erfolgreich während einer Saison ein Mannschaft übernehmen und verbessern kann: 2021 heuerte er im Januar bei Chelsea an und übernahm die Londoner auf Rang acht – sieben Punkte hinter einem Champions-League-Platz. Er stabilisierte die Defensive seines Teams und brachte die individuell stark zusammengesetzte Truppe dazu, als Kollektiv zu funktionieren. Tuchel führte die "Blues" in der Premier League noch auf Platz vier und ins Finale des FA-Cups, das gegen Leicester verloren ging. Aber: Er riss dem souveränen Meister Manchester City die Champions League unter dem Nagel weg.
Trainerwechsel während der Saison als gutes Omen
Eine akzeptable Platzierung in der Liga – was bei den Bayern also die Meisterschaft bedeutet – samt Pokalfinale und ein Champions-League-Endspiel: Genau das erhoffen sich die Münchner nun auch von Tuchel. Der Rückstand in der Bundesliga beträgt nur zwei Zähler, zudem weiß der neue Coach, wie man Guardiolas Teams schlägt – die Bayern haben den für sie perfekten Trainer gefunden. Gute Erfahrungen mit Wechseln auf der Übungsleiter-Position während der Saison haben die Bayern übrigens auch selbst schon gemacht: beispielsweise in der Saison 2019/20. Unter dem vom Co- zum Chef-Trainer beförderten Hansi Flick stand am Ende das Triple. Große Fußstapfen, in die Tuchel tritt. Aber dass er dem gewachsen ist, hat er über Jahre erfolgreich gezeigt. Auf dem Fußballfeld – und auch mit Salz und Pfeffer auf dem Bar-Tisch.
Patrick Dirrigl
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