Peter Neururer im Interview: "Das waren pure Emotionen"
Peter Neururer gehört zu den erfolgreichsten Trainer in der Geschichte der 2. Bundesliga. Es trainierte zehn verschiedene Vereine, rettete mehrere vor dem Abstieg und schaffte mit dem 1. FC Saarbrücken 1992 und dem VfL Bochum 2002 jeweils den Aufstieg in die Bundesliga. Im Interview spricht der 69-Jährige über den Umgang mit Druck, seine Erfolgsrezepte und eine kuriose Aufstiegsfeier.
Peter Neururer, wenn Sie an die 2. Bundesliga denken, was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn?
Als Erstes denke ich da an große fußballerische Attraktivität, im Augenblick vielleicht wie noch nie zuvor. Inzwischen spielen ehemalige Meister und sogar Europapokalsieger mit. Es hat eine großartige Entwicklung gegeben, insbesondere seit die 2. Bundesliga eingleisig ist. Wenn man sieht, wie hoch die Zuschauerzahlen sind, dann glänzt die 2. Bundesliga im Vergleich mit vielen anderen zweiten Liga Europas – und sogar im Vergleich mit einigen ersten Ligen.
Die 2. Bundesliga gilt als sehr ausgeglichen, jeder kann jeden schlagen. Das bekommen auch Schwergewichte wie der Hamburger SV oder der FC Schalke 04 zu spüren. Wie erklären Sie sich das?
Das war schon immer so. Der Wiederaufstieg ist nicht so einfach für Teams, die absteigen und in der 2. Bundesliga als großer Favorit gelten. Das liegt daran, dass sie meistens eine Mannschaft haben, die gar nicht weiß, wie es ist, der Favorit zu sein. Im Vorjahr haben sie oft verloren und jetzt ist plötzlich die Erwartung, dass sie immer gewinnen. Außerdem ist es für alle anderen Mannschaften immer das Spiel des Jahres, wenn es gegen diese Teams geht. So kannst du schnell in eine Schieflage geraten.
Sie haben große Erfahrung mit dem Abstiegskampf. Wie schafft man es, in einer schweren Situation mit dem Druck umzugehen?
Es macht einen riesigen Unterschied, ob ich etwas erreichen will, oder ob ich etwas verhindern will, also den Abstieg. Ich habe immer einen positiven Druck verspürt, der mich angetrieben hat. Für die Spieler ist das von Fall zu Fall unterschiedlich. Manchmal musst du der Mannschaft Druck geben, manchmal musst du ihn ihr nehmen. Das hängt stark davon ab, wie erfahren das Team ist. Hast du eine Mannschaft mit vielen Spielern, die so eine Situation schon erlebt haben, oder hast du ein junges Team, für das der Abstiegskampf neu ist? Zudem war es früher eine ganz andere Situation, ob du in der Bundesliga gegen den Abstieg gekämpft hast, oder in der 2. Bundesliga. Denn damals, als es noch keine 3. Liga gab, warst du nach dem Abstieg aus der 2. Bundesliga raus aus dem Profifußball und es konnte das Ende vieler Träume für die Spieler bedeuten. Damals herrschten echte Existenzängste.
Mit den Kickers Offenbach mussten Sie am Ende der Saison 1999/2000 den Abstieg aus der 2. Bundesliga verkraften. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Es hat mir das Herz herausgerissen, dass wir den Fans nicht den Klassenerhalt schenken konnten. Für mich war es bis heute einer der außergewöhnlichsten Momente, die ich in meiner Karriere erlebt habe, als wir am letzten Spieltag zum Auswärtsspiel bei Fortuna Köln fuhren. Zu dem Zeitpunkt waren wir bereits abgestiegen. Auf dem Weg im Mannschaftsbus sahen wir, wie uns zig Autos mit Fahnen von Offenbach überholten.
Was dachten Sie in dem Moment?
Wir hatten erwartet, dass es ungemütlich werden könnte. Nach dem Spiel, das wir 1:4 verloren hatten, standen die Fans an den Toren und wir dachten, wir müssten die Polizei holen. Stattdessen gab es Standing Ovations. Die Fans haben honoriert, dass die Mannschaft alles versucht hatte, um die Klasse zu halten. Die Spieler hatten ihr Herz auf dem Platz gelassen. Und deshalb wurden wir trotz eines frustrierenden Abstiegs so gefeiert. Da habe ich gesehen, was es heißt, ein echter Fan zu sein. Es gab in Offenbach eine Symbiose von Mannschaft und Fans, wie ich sie selten erlebt habe.
Sie kennen auch das Gefühl des Aufstiegs in die Bundesliga, mit dem 1. FC Saarbrücken 1991/92 und mit dem VfL Bochum 2001/02 haben Sie das geschafft. Wie fühlten sich diese Erfolge an?
Ich sage immer: Ich bin sogar zweieinhalbmal aufgestiegen. Den tiefsten Eindruck hat bei mir die Zeit auf Schalke Ende der 1980er-Jahre hinterlassen. Ich habe die Mannschaft übernommen, als sie schon mit einem Bein in der Regionalliga stand. Am Ende haben wir mit einem Sieg im Quasi-Endspiel gegen Blau-Weiß 90 vor über 60.000 Zuschauern die Klasse gehalten. Diesen Tag hat auf Schalke bis heute keiner vergessen. Anderthalb Jahre später wurde ich dann entlassen, als wir auf einem Aufstiegsplatz standen.
Und das schmerzt noch heute...
Besonders schmerzte der Tag des Aufstiegs. Schalke hatte mich zum entscheidenden Spiel eingeladen. Von der Tribüne zusehen zu müssen, wie die Mannschaft aufsteigt, die ich mit zusammenstellen und nach oben führen durfte, aber selbst nicht mehr ein Teil dessen zu sein, das tat schon weh.
Finden Sie, dass Trainer zu oft vorschnell freigestellt werden?
Ich störe mich daran, wenn Vereine unrealistische Ziele vorgeben. Wenn du die dann nicht erreichst, giltst du als gescheitert. Es gibt wenige Vereine, die vormachen, wie man über längere Zeit ein Projekt entwickelt. Der SC Freiburg ist ein gutes Beispiel dafür, da wurde auch in Krisen am Trainer festgehalten. Oft bist du als Trainer gar nicht in der Lage, eine Krise zu bewältigen, weil du bei Misserfolg schnell entlassen wirst.
Zurück zu den Aufstiegen, bei denen Sie dabei waren. Können Sie die Emotionen nach so einem Erfolg beschreiben?
Mit Saarbrücken aufzusteigen, war eine unglaubliche Geschichte, das war noch in der zweigeteilten Liga. In Bochum durfte ich eine tolle Mannschaft übernehmen, die von meinem Vorgänger Ennatz Dietz zusammengestellt worden war. Die Situation wirkte zu Beginn ausweglos, aber am Ende haben wir durch einen Sieg am letzten Spieltag in Aachen den Aufstieg perfekt gemacht. Das waren pure Emotionen, in Bochum waren 100.000 Menschen auf der Straße, die uns empfangen haben.
Wie wird ein Aufstieg gefeiert? Feuchtfröhlich, nehmen wir an...
Nach dem Aufstieg mit Saarbrücken sind wir alle nach Kreta geflogen. Damals war es noch üblich, dass das Trainerteam mit dabei ist. Wir haben uns auf dem Flug so abgeschossen, dass wir bei der Ankunft schon nicht mehr wussten, ob wir mit dem Bus, dem Schiff oder dem Flugzeug gekommen waren.
Und wie ging es vor Ort weiter?
Ich erinnere mich noch gut daran, dass in der Hotelanlage, in der wir untergebracht waren, nicht mit Bargeld gezahlt wurde. Man musste stattdessen das Geld in kleine Glasperlen umtauschen, um damit an der Theke Getränke zu kaufen. Ich hatte Perlen in der Tasche, die bestimmt 4000 bis 6000 Mark wert waren. Am Abend auf der Tanzfläche – wir hatten alle natürlich erstklassig getrunken – greife ich in die Tasche, spüre diese Perlen und denke mir: Was soll ich denn mit den Dingern? Und hab sie einfach weggeschmissen. Die ganze Mannschaft kroch dann in der Disco auf dem Boden herum, um die Perlen vom Trainer wieder aufzusammeln.
Sie haben es also offensichtlich gut hinbekommen, dass es zwischen Mannschaft und Trainer stimmte. Welche Maßnahmen brauchte es dafür?
Du musst jedem Spieler eine Wertigkeit geben, die Nummer 1 im Tor und die Nummer 24 im Kader muss eine Wertigkeit in seiner Rolle spüren. Ein Beispiel: Wir haben nach den Spielen immer einen Spieler des Tages gewählt, der bekam dann unter der Woche eine besondere Rolle, manchmal wurde er auch gefoppt und musste Getränke schleppen. Die Spieler haben meistens den Torwart gewählt, wegen einer starken Parade, oder einen Stürmer, der zwei Tore geschossen hat. Aber einmal habe ich auch gesagt: Heute wähle ich den Spieler des Tages selbst!
Und wer war das?
Wir hatten ein Heimspiel gegen Union Berlin und in der letzten Minute machte unser Innenverteidiger Frank Fahrenhorst das entscheidende Tor. Da hatten natürlich alle erwartet, dass er der Spieler des Tages wird. Aber ich habe mich für einen Spieler entschieden, der gar nicht gespielt hat, sondern auf der Bank saß und stinksauer auf mich war. Alle waren perplex und der Spieler fragte mich auch: Was soll das denn, Trainer? Und ich sagte: Ich habe gesehen, wie du beim Tor zu deinem direkten Konkurrenten gelaufen bist und ihn umarmt hast, obwohl er gespielt hat und nicht du. Du hast dem Publikum gezeigt, dass wir eine Mannschaft sind, in der jeder Spieler wichtig ist, auch der, der auf der Bank sitzt. Dieser Spieler war Rouven Schröder, der hat heute ganz woanders Erfolg. (Anm. d. Red: Rouven Schröder ist aktuell Sportdirektor bei RB Leipzig).
Es braucht für den Aufstieg also nicht nur sportliche Qualität, sondern auch eine besondere Atmosphäre im Team?
Natürlich braucht es auch Qualität. Ich kann niemanden zur Weltklasse reden. Klar, ich kann ihn motivieren, aber letztlich muss jeder Spieler selbst bereit sein, sich für den Erfolg einzubringen. Letztlich ist eine Mannschaft immer ein Bild aus Mosaiksteinchen und darin hat auch der kleinste Teil eine Wertigkeit. Wenn das alle spüren, ist das die Grundlage für Erfolg.
Gibt es Spieler, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Da gibt es so viele. Zum Beispiel Michael Kostner, der mit zwei abgerissenen Bändern im Sprunggelenk noch die Aufstiegsrunde in Saarbrücken gespielt hat. Er hat gesagt: „Trainer, ich kann nicht trainieren, aber spielen kann ich noch.“ Nach jedem Spiel bekam er schmerzstillende Spritzen und während die Mannschaft den Aufstieg gefeiert hat, lag er auf dem Operationstisch und hat sich den Fuß operieren lassen. Apropos: Wir hatten damals vier Michaels im Team, das war auch eine kuriose Sache.
Wie haben Sie das Problem gelöst?
Michael Nushöhr, Michael Kostner, Michael Preetz und Michael Krätzer waren alle Stammspieler und da fiel es mir schwer, ihnen vom Rand Anweisungen zu erteilen. Also haben wir uns beraten und gesagt: Jeder von euch braucht einen Spitznamen! Bei Preetz war es einfach, der war der „Lange“. Kostner war ein Modellathlet, ein echter Bär, also wurde er „Balu“ genannt. Wenn Nushöhr am Ball war, brüllte das Stadion sowieso immer „Nuss“, also hatte auch er seinen Spitznamen weg. Dann blieb nur noch Michael Krätzer.
Und wie bekam der seinen Spitznamen?
In einem Spiel hat er einmal seinen Gegenspieler umgehauen, der Angriff lief aber weiter. Aber Krätzer lief nicht mit zurück, sondern half lieber dem Gegner wieder auf. Darauf hat Kostner ihn angebrüllt: „Ey, du Idiot, bist du etwa der Doc?“ Und seitdem war er „Doc“ Krätzer.
Ein besonderer Spieler, den Sie auch trainieren dürften, war Willi Landgraf, der bis heute der Rekordspieler der 2. Bundesliga ist. Was hat ihn ausgemacht?
Willi war der authentischste Fußballer, den ich kennengelernt habe. Er hatte immer ein Strahlen im Gesicht, egal in welcher Lage. Und er war im Training und in jedem Spiel zu 100 Prozent dabei, das war sensationell! Willi gilt nicht umsonst als "Kampfschwein". Ob in der A-Jugend, in der Amateurmannschaft in der Landesliga oder auch bei den Profis von Rot-Weiss Essen – er hat überall die Blutgrätsche ausgepackt. Ich habe ihn heute noch im Trikot von RWE vor Augen – und im Blaumann.
Wieso das?
Willi hat damals in einem Autohaus seine Lehre zum KfZ-Mechaniker gemacht. Zu der Zeit konnte er nicht zweimal am Tag trainieren. Ich habe ihn zwischendurch im Autohaus besucht und auch da verbreitete er stets gute Laune.
Durfte er sich mehr erlauben als andere Spieler?
Er durfte fast sogar mal eine Cola trinken. Damals war ich Co-Trainer in Essen unter Horst Hrubesch und es war klar, dass Softdrinks für die Spieler verboten waren. Aber einmal hat Willi nach einem Spiel eine Cola bestellt. Da zuckte die ganze Mannschaft zusammen. Hrubesch ging hin, hat einen Schluck genommen und gesagt: „Die trinkst du nicht!“
Als Gegenspieler haben Sie ihn wahrscheinlich unangenehmer in Erinnerung?
Ja, es war immer schlimm, wenn wir gegen Aachen gespielt haben, auch im Aufstiegsjahr mit Bochum. Da habe ich mir gedacht, er könnte mal den Fuß vom Gas nehmen. Aber das hat Willi natürlich nie gemacht.
Interview: Tim Müller
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