13.09. 18:30
14.09. 13:30
14.09. 13:30
14.09. 13:30
14.09. 13:30
14.09. 13:30
14.09. 16:30
15.09. 13:30
15.09. 15:30
Im Alter von 70 Jahren gestorben: Die Bundesliga trauert um Christoph Daum - © imago images / Eibner
Im Alter von 70 Jahren gestorben: Die Bundesliga trauert um Christoph Daum - © imago images / Eibner
bundesliga

Zum Tode von Christoph Daum: mehr als nur Lautsprecher und Beinahe-Bundestrainer

xwhatsappmailcopy-link

Im Alter von 70 Jahren ist Christoph Daum seinem Krebsleiden erlegen. Mit dem VfB Stuttgart wurde der gebürtige Zwickauer 1992 Deutscher Meister, beim 1. FC Köln und bei Bayer 04 Leverkusen war der exzentrische Trainer ebenfalls erfolgreich unterwegs. Wir blicken auf die bewegte Karriere des Erfolgscoaches, der viel mehr war als nur ein Sprücheklopfer und Motivationsexperte.

"Mach et joot, Christoph" - Gedenkfeier für Christoph Daum

Streitbar und schillernd

Das Echo war riesig, als die schlimme Nachricht öffentlich wurde: Christoph Daum, der Meistercoach des VfB Stuttgart von 1992, der streitbare und schillernde Trainer des 1. FC Köln und Bayer 04 Leverkusen, der Beinahe-Bundestrainer Anfang der 2000er Jahre, ist seinem Krebsleiden im Alter von 70 Jahren erlegen. Mit ihm geht ein Mensch, der nicht nur im deutschen Fußball, sondern weit darüber hinaus mit seinem Wirken gewaltige Spuren hinterlassen hat.

"Christoph Daum war ein großer Trainer und eine starke Persönlichkeit – häufig streitbar, immer innovativ", betonte Hans-Joachim Watzke, Sprecher des DFL-Präsidiums. Trotz seiner Erfolge im Ausland sei er immer ein Kind der Bundesliga geblieben.

Vom Nobody zum "Lautsprecher der Liga": Daums Durchbruch in Köln

Die ersten Schritte auf der großen Bühne machte Daum bei einem der großen Traditionsvereine Deutschlands. Als Spieler wurde der gebürtige Zwickauer, der größtenteils in Duisburg aufwuchs, mit dem 1. FC Köln 1982 Deutscher Amateurmeister. Zu einer aufsehenerregenderen Karriere auf dem Platz reichte es für Daum nicht – das war ihm erst am Seitenrand vergönnt. Über die FC-Amateure (1981 bis 1985) und die Position des Co-Trainers der Bundesliga-Profis (1985/86) stieg der ambitionierte Sportwissenschaftler (Diplomarbeit "Die Wichtigkeit und Bedeutung von pädagogischen und psychologischen Maßnahmen eines Fußballtrainers") im September 1986 zum Chefcoach der damals kriselnden "Geißböcke" auf. Von der unbekannten Interimslösung wurde Daum schnell zum Erfolgsgaranten bei den Domstädtern, rettete den FC erst vor dem Abstieg und führte ihn dann zurück in die Spitzengruppe der Bundesliga.

Nach Platz drei 1987 gab es für die "Geißböcke" ein Jahr später die Vizemeisterschaft – und in der Saison danach sollte endgültig der Angriff auf den Titel erfolgen. Motivationskünstler Daum lässt sich besondere Methoden einfallen, nagelt einmal sogar 40.000 Mark an die Kabinenwand. Das Rennen mit dem FC Bayern um die Meisterschale wurde zum legendären Schlagabtausch, auf und neben dem Platz. Daum lieferte sich mit Uli Hoeneß und Jupp Heynckes im ZDF-Sportstudio ein lautstarkes Verbalduell, das in die Bundesliga-Geschichte einging. Das bessere Ende für sich hatte sportlich am Ende die Konkurrenz aus München, für Daum war sein Weg in Köln im Sommer 1990 zu Ende. Während der laufenden WM wurde er von den FC-Verantwortlichen in einer denkwürdigen Pressekonferenz in Italien entlassen – "aus heiterem Himmel", wie er später immer wieder betonte.

Meisterschaft und Wechselfehler: wilde Zeiten beim VfB Stuttgart

Lange bleibt ein derart erfolgreicher Trainer in der Bundesliga natürlich nicht ohne Engagement: Im November 1990 übernimmt Daum den VfB Stuttgart – und zeigt bei den Schwaben, dass er keine Eintagsfliege ist. Wie schon in Köln formt der nie um einen schlagzeilenträchtigen Spruch verlegene Fußballlehrer aus einer abstiegsgefährdeten Mannschaft ein Spitzenteam. Schon 1991/92 ernten Daum und seine Schützlinge die Früchte dieser Arbeit, in einem dramatischen Saisonendspurt sichert sich der VfB die Deutsche Meisterschaft. Am 34. Spieltag nutzen die Stuttgarter dabei den Patzer von Eintracht Frankfurt (1:2 in Rostock), Guido Buchwald wird durch den Siegtreffer in Unterzahl kurz vor Schluss bei Bayer 04 Leverkusen zum schwäbischen Titelhelden.

Die vorzeitige Krönung einer schon damals schillernden Karriere – allerdings auch der Anfang vom vorzeitigen Ende des Daum'schen Höhenflugs in der Bundesliga. In der Qualifikation zur Gruppenphase der Champions League leistet sich der Erfolgscoach einen verhängnisvollen Fauxpas, wechselt im Rückspiel gegen Leeds United regelwidrig einen vierten ausländischen Spieler ein. Nach Protest der Engländer kommt es zum Wiederholungsspiel im legendären Camp Nou, das die Schwaben verlieren und somit den Einzug in die Gruppenphase der Champions League verpassen. Auch in der Bundesliga läuft es nicht mehr zu 100 Prozent rund für den VfB, der sich letztlich im Winter 1993 von Daum trennt – ein erster Abschied aus der Bundesliga folgt.

Echter Hingucker: Auch modisch setzt Christoph Daum in der Bundesliga Ausrufezeichen - imago images / CONTRAST

Stürmisches Bundesliga-Comeback in Leverkusen

Daum verlässt Deutschland – und heuert bei Beşiktaş Istanbul an. Dort macht sich der deutsche Trainer direkt unsterblich, führt den Hauptstadt-Club in seiner ersten Saison zum Pokalsieg und ein Jahr später zur Meisterschaft. Der Kontakt in die Heimat reißt jedoch nie ab – im Sommer 1996 visiert Daum eine Rückkehr in die Bundesliga an. Der 1. FC Köln buhlt massiv um die Dienste des ehemaligen Erfolgscoaches, doch dieser entscheidet sich ausgerechnet für den rheinischen Rivalen aus Leverkusen. Auch bei seiner dritten Bundesliga-Station wirkt Daum wieder einmal Wunder, macht aus Bayer 04, das kurz zuvor nur denkbar knapp dem Abstieg entronnen war, praktisch aus dem Stand einen Titelkandidaten – direkt im ersten Jahr seiner Amtszeit wird die "Werkself" Vizemeister.

Daum und Leverkusen, das wird zur Traumehe. Der Trainer steht im Mittelpunkt, haucht dem zuvor als graue Maus verschrienen Bundesliga-Standort neues Leben ein und sorgt mit ungewöhnlichen Aktion für Aufsehen. Der Motivationsexperte lässt seine Spieler (und auch sich selbst) über Glasscherben gehen, um zu demonstrieren, was mit der richtigen Einstellung alles möglich ist. Auch dank dieser Methoden bleiben die Leverkusener ein Spitzenteam der Bundesliga, im Mai 2000 hat Bayer 04 am 34. und abschließenden Spieltag Matchball im Titelrennen. In Unterhaching versagen der "Werkself" allerdings die Nerven, das 0:2 im Münchener Vorort sorgt für Jubel beim FC Bayern und bundesweiter Häme gegen die Rheinländer mit "Lautsprecher" Daum. "Du kannst hinfallen. Es ist auch nicht entscheidend, wie oft du hinfällst. Du musst nur immer wieder aufstehen", blieb auch danach ein Credo des Trainers.

Im Zentrum des Medieninteresses: Christoph Daum bei der legendären Pressekonferenz zu seiner Kokainaffäre - imago / Bonn-Sequenz

Um ein Haar Bundestrainer: die Kokainaffäre

Hingefallen war in dieser Zeit auch der gesamte deutsche Fußball: Bei der EM 2000 setzte es für die DFB-Elf ein beschämendes Vorrunden-Aus, die Aussichten der Nationalmannschaft waren alles andere als rosig. Die Lösung: Christoph Daum sollte ab Sommer 2001 den damals dreimaligen Welt- und Europameister wieder zu alter Größe führen. Es hätte die Krönung einer bis dato schon großen Karriere werden sollen: Der wohl profilierteste und innovativste Trainer des deutschen Fußballs und die deutsche Nationalmannschaft – ein "Match", wie man heutzutage wohl sagen würde. Doch dazu kam es letztlich bekanntermaßen nicht: Uli Hoeneß, schon aus Daums Kölner Zeiten Intimfeind des streitbaren Trainers, sorgt mit Andeutungen zum "verschnupften Daum" für Diskussionen um das Engagement des Leverkusener Erfolgsgaranten beim DFB.

Was folgte, sollte in die Geschichte des deutschen Fußballs eingehen: Daum stellte sich nach einer wochenlangen öffentlichen Schlammschlacht mit den mittlerweile legendären Worten "Ich tue das, weil ich ein absolut reines Gewissen habe" einer Haarprobe, die letztlich positiv auf Kokain ausfällt. Der Skandal ist perfekt, es folgt das sofortige Aus in Leverkusen und selbstverständlich das sofortige Aus des Traums vom DFB-Job. Daum war "um ein Haar Bundestrainer", heißt es anschließend. Wie heißt es so schön im Volksmund: Wer den Schaden hat, der braucht für den Spott nicht zu sorgen. Vom umworbenen Hoffnungsträger zur Persona non grata: Daum flieht erst einmal in die USA und kehrt erst nach Monaten zurück – um sich auf einer Pressekonferenz zu rechtfertigen. Die offene Frage: Gibt es für ihn einen Weg zurück in die deutschen Fußball?

Mit dem 1. FC Köln feiert Christoph Daum 2008 den Aufstieg in die Bundesliga - IMAGO/Oliver Blobel

Der Messias ist wieder da: umjubelte Rückkehr zum 1. FC Köln

Hinfallen. Aufstehen. Immer und immer wieder – das blieb Daums Credo, auch in diesen umtosten Zeiten. Doch zunächst einmal fand dies in fernen, wenngleich bekannten Gefilden statt: Daum findet zunächst bei Beşiktaş abermals einen sicheren Hafen, führt Austria Wien zu Titeln in Österreich und feiert mit Fenerbahçe zwei Meisterschaften in Serie. 2006 tritt er in Istanbul aus gesundheitlichen Gründen zurück, sorgt aber wenig später wieder für Schlagzeilen in Deutschland. Der 1. FC Köln, mittlerweile in der 2. Bundesliga unterwegs, sucht nach schwachem Saisonstart einen neuen Trainer, der die "Geißböcke" endlich wieder zu alten Erfolgen führt. Wer könnte da besser geeignet sein als Christoph Daum? Die Erinnerung an frühere, deutlich bessere Zeiten eint beide Parteien, die nach langem öffentlichen (und zeitweise peinlichem) Hickhack zueinanderfinden.

In Köln sorgt Daum für eine unglaubliche Euphorie, wird bei seinem FC-Comeback wie der leibhaftige Messias empfangen. Beim ersten öffentlichen Training unter dem neuen alten Trainer pilgern über 10.000 Kölner Anhänger ins RheinEnergieStadion, dem einstigen Erfolgscoach werden sogar Babys angereicht, als solle er sie segnen. Dem (für viele Beobachter obskuren) Personenkult zum Trotz: In der ersten Saison kann Daum den FC nicht so richtig in Spur bringen, schafft aber ein Jahr später die umjubelte Rückkehr in die Bundesliga. Der ehemalige "Lautsprecher der Liga" und die launische Diva vom Rhein – sie waren wieder da, wo sie nach eigenem Verständnis hingehören. Eine solide Saison inklusive souveränem Klassenerhalt verlässt Daum die "Geißböcke" im Sommer 2009 jedoch wieder, nutzt seine vertraglich garantierte Ausstiegsklausel für den lukrativen Abschied Richtung Fenerbahçe.

Karriere auf der Zielgeraden – Kampf abseits des Feldes

Nach der dritten Amtszeit beim Istanbuler Spitzenclub kehrt Daum einmal noch in die Bundesliga zurück, im Frühjahr 2011 übernimmt er die abstiegsbedrohte Frankfurter Eintracht. Bei den Hessen jedoch scheint ihn sein Glück verlassen zu haben, am Ende kann der Motivator die SGE nicht vor dem bitteren Gang in die 2. Bundesliga bewahren. Nach Stationen beim FC Brügge und bei Bursaspor wird Daum 2016 doch noch Nationaltrainer – in Rumänien. Die "Tricolorii" betreut der deutsche Coach während der Qualifikation für die WM 2018 in Russland für knapp ein Jahr, bevor die schillernde Karriere des Beinahe-Bundestrainers endgültig ein Ende findet. Dem Fußball bleibt Daum jedoch weiterhin verbunden, gibt als Experte sein Wissen und sein Know-how in den Medien zum Besten.

2022 verkündet der Fußballlehrer dann, dass er seinen wichtigsten Kampf abseits des Platzes führen muss: Bei Christoph Daum, langjähriger Raucher, wurde Lungenkrebs diagnostiziert. "Der Krebs hat sich den falschen Körper ausgesucht", gab er sich kämpferisch, auch wenn dieser durch zahlreiche Chemotherapien geschwächt war. Hinfallen. Aufstehen. Auch diesmal wollte Daum seinem Lebensmotto treu bleiben. Am Ende war der Krebs jedoch stärker. "Er hat tapfer gegen seine Krankheit gekämpft und dabei mit seinem offenen Umgang mit dem Thema auch vielen betroffenen Menschen Mut gemacht. Den letzten Kampf konnte er am Ende nicht gewinnen, aber der deutsche Fußball wird ihn als einen Menschen in Erinnerung behalten, der immer alles gegeben hat – für seine Vereine, seine Mannschaften und weit darüber hinaus", würdigte ihn auch Uli Hoeneß, mit dem Daum noch zeitlebens seinen Frieden gemacht hatte, posthum. In Erinnerung bleiben: Das wird Christoph Daum definitiv. Als Erfolgstrainer und Motivationskünstler, als Meistermacher und Menschenfänger, als Lautsprecher der Liga und Beinahe-Bundestrainer. Und ganz besonders und vor allem: als Mensch.

Thomas Reinscheid